Jeder sechste US-Häftling sitzt privat

■ USA: Die Gefängnisindustrie ist zum strafrechtlich-industriellen Komplex ohne Interesse an niedrigen Rückfallquoten geworden

Falakah und David Fattah hatten ihre eigenen Ansichten darüber, wie man straffällige Jugendliche behandeln sollte: Sie nahmen sie in ihr Haus in Philadelphia, USA, auf. An die 500 Mitglieder von Jugendgangs adoptierten sie im Laufe der letzten 30 Jahre.

Die Regeln waren streng: Aufstehen um sechs Uhr, morgendliche Aufgabenverteilung, und einmal die Woche traf man sich zu Besprechungen, bei denen die Jugendlichen selbst über sich und die Fortschritte zu Gericht saßen. Was die Kids im Gegenzug erhielten, war etwas, was sie bisher nicht gekannt hatten: eine Familie, die sich um sie kümmerte. Die Rückfallrate betrug 3 Prozent. Bei den gewöhnlichen US-Jugendstrafanstalten sind es 70 bis 90 Prozent.

In Philadelphia gingen die Gerichte deshalb dazu über, verurteilte Jugendliche zu den Fattahs statt ins Gefängnis zu schicken. Von diesem Experiment berichteten die Autoren David Osborne und Ted Gabler in ihrem damals als bahnbrechend empfundenen Buch über die „Neuerfindung der Regierung – wie Marktwirtschaft und Unternehmertum den öffentlichen Sektor revolutionieren können“.

Unter privater Initiative im Bereich des Strafvollzugs versteht man in den USA inzwischen allerdings etwas ganz anderes als das von den Fattahs 1969 eröffnete „Umoja House“, das heute eine Jugendwohngemeinschaft für noch nicht straffällig gewordene Jugendliche beherbergt. 1984 entstand in Houston das erste vollständig von einer privaten Firma gebaute und geleitete Gefängnis – eine Abschiebehaftanstalt der Einwanderungsbehörde in Houston.

Heute gibt es 163 private Gefängnisse in den USA – und jeder sechste Strafgefangene sitzt privat. Die beiden größten Unternehmer sind „Corrections Corporation of America (CCA)“ und „Wackenhut“. Zusammen beherrschen sie 75 Prozent des Weltmarktes für private Gefängnisse. Wackenhut baut jetzt zum Beispiel in Australien ein Gefängnis. Befürworter privater Gefängnisse verweisen vor allem auf die niedrigeren Kosten bei Bau und Verwaltung. Die Firmen bauen im Dutzend billiger, stellen Personal zu niedrigeren Löhnen und Gehältern ein und sparen am Essen. Sie erhalten von den staatlichen Behörden für jeden Gefangenen eine bestimmte Summe – 27 Dollar pro Mann und Tag sind es etwa in Texas.

Gefängnisse sind in den USA eine Wachstumsindustrie. Manche strukturschwache Region reißt sich um Gefängnisse wie ehemals um eine Industrieansiedlung. Die beiden größten Gefängnisunternehmen verkaufen Aktien und nehmen durch Parteispenden Einfluss auf die Politik.

Angesichts dieser Entwicklung könnte man zu dem Schluss kommen, den Anstieg der US-Gefängnisbevölkerung bei gleich bleibender oder gar rückläufiger Kriminalität mit der Eigendynamik der Gefängnisindustrie zu erklären. An niedrigen Rückfälligkeitsraten ist sie nicht interessiert, denn die Kapazitäten schreien ebenso nach Auslastung wie die von Hotels.

„Eisenhower sprach vom miltärisch-industriellen Komplex, der jeder Regierungskontrolle entwachsen ist“, sagt Steven Donziger, Anwalt in New York und Autor des Buchs „Die Wahrheit über den Krieg gegen das Verbrechen“. Und weiter: „Heute haben wir es mit einem strafrechtlich-industriellen Komplex zu tun. Er beschert die gleichen Segnungen wie ehemals Militärbasen [. . .] Wie bei der Rüstungsindustrie darf man nicht nach dem Erfolg fragen, denn sie nährt sich vom Feindbild und nicht von ihrer Leistung für die Gesellschaft.“

Peter Tautfest, Washington