■  Zwanzig Prozent Überbelegung sind in deutschen Gefängnissen normal. Private Sicherheitsunternehmen wollen diesen neuen Markt erobern. Sie bieten dem Staat schlüsselfertige Knäste samt eigenem Personal zur Miete. Die Resozialisierung bliebe dabei auf der Strecke
: Der Knast als privates Profit Center

Noch nie waren die deutschen Gefängnisse so voll. Bei der letzten Erhebung am 31. März 1998 saßen in der Bundesrepublik exakt 56.661 Menschen hinter Gittern. In Berlin sind die Knäste nach Auskunft des Vollzugsbeirates um mehr als 20 Prozent überbelegt. In anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. Gleichzeitig fehlt es überall an Geld für Gefängnisneubauten oder die Einstellung von weiterem Personal. Um Abhilfe zu schaffen, wird seit geraumer Zeit über den Einsatz von Überwachungstechnik nachgedacht. Kleinere Verkehrsdelikte oder Ersatzfreiheitsstrafen, etwa weil Geldstrafen nicht bezahlt werden können, könnten damit technisch vollstreckt werden. Mittels so genannter Elektronischer Fußfesseln möchten einige Bundesländer die Delinquenten an die eigene Wohnung ketten.

Im „Justizdienstleistungsbereich“ zeichnet sich ein Zukunftsmarkt ab. Das haben die privaten Sicherheitsdienste denn auch längst erkannt und bieten hier ihren Service an. Nahezu täglich flattern Christoph Flügge, dem Leiter der Abteilung Strafvollzug in der Berliner Justizverwaltung, entsprechende Angebote auf den Schreibtisch. Von Überwachungstechnik bis zu schlüsselfertigen Gefängnissen reichen die Offerten. Als Gütesiegel dient einigen US-Firmen dabei die Notierung ihrer Aktien an der New Yorker Börse. Prisons for profit. „Der neue Markt“, weiß Flügge, „heißt Europa, und er wird von den USA aus erobert.“

Darauf warten einheimische Sicherheitsanbieter wie die Essener „KötterSecurity“ schon lange nicht mehr. „Ja, wir könnten eine Justizvollzugsanstalt bauen. In kurzer Zeit, mit festen Preisen“, meint Ralph Kramer von KötterSecurity. Die Justizverwaltung könne diese anschließend kaufen oder inklusive Personal leasen. Knasterfahrung hat Kramer seit fünf Jahren: 1994 wurde in Nordrhein-Westfalen das Abschiebegefängnis Büren teilprivatisiert. Mit 68 Beschäftigten stellt Kötter dort nun die Hälfte des Bewachungspersonals. Die Justizvollzugsbeamten haben seither nur noch „Steuerungsfunktionen“ und ordnen hoheitliche Eingriffe wie Fesselungen oder Zellendurchsuchungen an. Für Kötter ein gutes Geschäft. Nach Auskunft des Bundes der Strafvollzugsbediensteten in Nordrhein-Westfalen erhalten die Mitarbeiter zwischen 12 und 13 Mark pro Stunde, dem Land wird die Mann-Stunde mit 32 Mark in Rechnung gestellt. Dennoch spart der Landeshaushalt dabei. Der Betrag liegt immer noch niedriger als die Kosten für eigenes Personal, und vor allem entfallen spätere Pensionen.

Je größer die Not in den öffentlichen Kassen wird, umso kühner werden Kernbereiche staatlichen Handelns ausgemustert. Rein theoretisch entstehen dabei keine Probleme. So lange die Gesamtverantwortung der ausgeübten Gewalt bei der Justiz verbleibe, so die Philosophie der Befürworter, sei ein Konflikt mit dem staatlichen Gewaltmonopol nicht zu befürchten. Ergo sei eine Privatisierung grundsätzlich möglich.

Entscheidend ist jedoch die Ausgestaltung, das Wie des privaten Strafvollzuges. Und genau hier beginnt das Problem. Anders als in den USA hat der Strafvollzug in Deutschland auch die Aufgabe, die Gefangenen zu resozialisieren und auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten. Dass die Zustände in den Knästen katastrophal sind und Resozialisierung auch mit verbeamteten Vollzugskräften kaum mehr als eine Worthülse ist, rechtfertigt die Aufgabe dieses Grundsatzes nicht. Demnach ließe sich eine (Teil-)Privatisierung nur rechtfertigen, wenn sich hierdurch die Situation der Häftlinge verbessern, zumindest aber nicht verschlechtern würde. Eine Privatfirma, die einen Bewachungsauftrag erhält, weil sie das billigste Angebot unterbreitet hat, kann dies jedoch nicht leisten. Es wird auch gar nicht gewollt, denn damit lässt sich nichts verdienen.

Ganz ohne privatwirtschaftliche Unterstützung käme der Strafvollzug inzwischen allerdings nicht mehr aus, meinte Christoph Flügge auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Möglichkeiten sah er etwa in der Privatisierung der Gefängnisküche, der (Ausbildungs-)Werkstätten oder bei den Einkaufsmöglichkeiten für die Gefangenen.

Bei Küchen und Werkstätten ist dies in der Tat unproblematisch. Hoheitsfunktionen sind hier nicht betroffen. In verschiedenen Strafvollzugsanstalten, unter anderem in Berlin, ist dies längst der Fall. Schwieriger wird es schon beim Gefangeneneinkauf. Die freie Preisgestaltung eines privaten Anbieters kann hier durchaus eine Freiheitsbeschränkung darstellen. Als freiwillige Kundschaft mit Wahlmöglichkeiten kann selbst ein Zyniker Gefängnisinsassen nicht bezeichnen. Wenn aber dieser kleine Bereich ohne staatliche Richtlinien schon nicht auskommen kann, wie soll dann der Resozialisierungsgrundsatz zu regeln sein? Auch für ein privates Gefängnis ergäben sich hieraus die entscheidenden Vorgaben für den Standard. Somit entscheidet nach wie vor die Höhe der Ausgaben, die sich der Staat leisten will, über die Qualität des Strafvollzuges.

Die Berliner Grünen-Abgeordnete Renate Künast und der Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy sehen weitere Probleme. Wenn die Kommunen aus Geldgründen immer mehr Aufgaben auf Private übertrügen, so Künast, bedeute dies „den Rückzug des Staates aus der Definitionsmacht“. Gusy ging noch einen Schritt weiter und befürchtet, dass der Staat „am Ende mit seinen Gesetzen allein dasteht“. Die Kontrolle und Durchsetzung seiner Vorgaben sei ihm nicht mehr möglich, da er sich seiner Sanktionsgewalt selbst beraubt habe. Otto Diederichs