Zeitungmachen nach Gutsherrenart

■  Ein Coburger Journalist berichtet über den Überfall eines Neonazis auf einen Behinderten und nennt seinen Vornamen. Nun ist er seinen Job los: Der Täter ist Sohn eines Promis

Coburg (taz) – Coburg ist eine idyllische Kleinstadt. Man kennt sich. Und so kommt es „öfters vor, dass Leute bei mir anrufen und sich zu unseren Berichten äußern“, sagt Horst Mitzel, Verlagsleiter des Coburger Tageblatts. Über 40 Jahre ist Mitzel schon beim CT. Da kennt man ihn. Und Mitzel kennt sie: die VIPs von Coburg. Manche allerdings vielleicht zu gut. Das jedenfalls behaupten mehrere CT-Redakteure. Sie lasten Mitzel sowie ihrem Verleger Horst Uhlemann Parteilichkeit an und sprechen von einem „offenen Geheimnis“. Danach musste ihr Kollege, der Lokalredakteur Herbert Mackert, vor sechs Wochen seinen Platz räumen, weil er einem Coburger Promi zu nahe trat: Wolfgang Vatke, Verwaltungsdirektor des lokalen Landestheaters.

Vatke hatte im März in einem Text von Mackert Erschütterndes über seinen 17-jährigen Sohn Gerd lesen müssen. „Gerd“, hieß es darin ohne Nennung des Nachnamens, hatte – in Springerstiefeln und mit Kurzhaarschnitt – in einer Kneipe einem 51-jährigen Behinderten vor Zeugen ins Gesicht gespuckt, ihm den Behindertenausweis zerrissen und ihn als „Kommunisten-“ und „Judenschwein“ beschimpft, bevor er ihm auf dem Heimweg nachstellte. Das Opfer landete mit einem gebrochenen Oberarm im Krankenhaus. Weil es dafür jedoch keine Zeugen gab, konnte dem rabiaten Vatke-Sohn die Körperverletzung nicht nachgewiesen werden.

Auch die Coburger Konkurrenz Neue Presse berichtete über den Vorfall, auch hier wurde der Angreifer als „Neonazi“ bezeichnet – allerdings wurde kein Name genannt. Vatke war erbost. Coburg ist klein, und „Gerd“ wurde entsprechend schnell von Mitschülern und Lehrern identifiziert. „Herr Vatke hat mich angerufen“, erzählt Horst Mitzel, „und mich gebeten, beide Artikel zu vergleichen. Das habe ich getan. Und dann war für mich die Sache klar.“

Was da „klar“ war, will Mitzel nicht ausführen. In den CT-Redaktionen aber spricht man von einem „Fall Vatke“, der einen Anlass bot, Mackerts befristeten Vertrag nicht zu verlängern – obwohl man ihm mehrfach über den Redaktionsleiter Christoph Scheppe eine Weiterbeschäftigung zugesichert hatte. Betriebsrat Dieter Ziegelmüller: „Ich gehe davon aus, dass hier ein kritischer Journalist aus der Redaktion entfernt wurde.“

Denn kritisch, das bestätigen seine Ex-Kollegen, war der ehemalige Journalistenschüler Mackert. „Er war unser Mann für die heiklen Themen“, meint eine Redakteurin, „fast so eine Art Kreuzritter.“ Ob Burschenschaftskonvent, Luftraumsteuer, die Telefonsexaffäre des OB-Sprechers Stefan Hinterleitner: Mackert scheute sie nicht, die heißen Eisen, die es in Coburg zur Genüge gab. Häufig habe er, so die Redakteurin weiter, den Betrieb aufgehalten mit seinen „geradezu übergenauen Recherchen“. Ein andere Kollegin spricht sogar vom „hiesigen Sumpf“, der Mackert, wohnhaft in Bamberg, zum Verhängnis geworden sei: „Dem hat der Name Vatke doch nichts gesagt!“ Ingolf Hofmann, der Autor des Neue Presse-Artikels über den Vatke-Sohn, sagte der Name offenbar mehr. Jedenfalls bekennt er freimütig: „Mir konnte der Vatke nichts, ich war halt vorsichtiger.“

Vatke machte nicht nur bei Mitzel gegen Mackert mobil. Er wurde auch bei CT-Verleger Horst Uhlemann im 40 Kilometer entfernten Kulmbach persönlich vorstellig. Auch ihm, mit dem er persönlich bekannt ist, legte Vatke die beiden Artikel über seinen Sohn vor. Und Uhlemann mochte der Empörung des Besuchers „nur zustimmen“. „Der eine Artikel (Neue Presse) war neutral, der andere (CT) emotional aufgeputscht.“

Dass diese Beurteilung eine Rolle gespielt habe bei der Entscheidung, Mackerts Jahresvertrag nicht zu verlängern, bestreitet der Verleger vehement. Ausschlaggebend seien allein „rapide gesunkene Erträge“ gewesen. Die Zeitung, so Uhlemann, müsse personell „abschmelzen“. Dass selbst Redaktionsleiter Christoph Scheppe dann vom negativen Bescheid „überrascht“ war, kommentiert Uhlemann lapidar: „Ein Redaktionsleiter kann hundertmal seine Zusicherungen geben, ein Vertrag ist ein Vertrag.“ Wer einen bekommt oder nicht, entschied er zumindest im Fall Mackert nach Gutsherrenart über die Köpfe der Redaktion hinweg.

Zurück bleibt ein Gefühl der Ohnmacht. Einerseits beim Betroffenen, der sich als „Menschenopfer der Coburger Kamarilla“ empfindet. Andererseits bei den verbliebenen CT-Redakteuren. Die Angst geht um. „Viele“, so glaubt eine Redakteurin, „werden sich nun in die innere Emigration zurückziehen.“ Von Vatke habe man gerüchteweise gehört, dass er sich in der Strafverhandlung seines Sohnes Gerd gebrüstet habe, „den Journalisten Mackert entlassen“ zu haben. „Wenn das wirklich wahr ist“, prognostiziert ein Redakteur, „dann können wir hier alle einpacken!“ Gisa Funck