Falsche Töne bei Premierenfeier

■ Chorprobe“ in der Bar jeder Vernunft. Berliner Comedy-Fans zittern: Gibt es ab jetzt nur noch „richtiges Theater“ im Spiegelzelt?

Wer vor der Premiere Karten für die „Chorprobe“ bestellen wollte, wurde von fürsorglichen Mitarbeitern der Bar jeder Vernunft gewarnt: „Beachten Sie bitte, das ist keine Comedy!“ Zum ersten Mal sollte es hier richtiges Theater geben: lustig – na, klar – und doch gnadenlos menschliche Abgründe entlarvend.

Abgründe tun sich in diesem Stück nicht auf. Man sieht nicht mal die Schauspieler, jedenfalls nicht alle auf einmal. Das Spiegelzelt mit seinen Säulen, Seitenlogen und ebenerdigen Sitzreihen ist nur für Aufführungen brauchbar, bei denen sich nicht zu viele Künstler nur wenig bewegen. Fünf Schauspieler in Aktion plus Pianistin sind zu viel. Daher bleibt Dietmar Bittrichs WDR-Hörspiel „Die Chorprobe“ von 1985 auch in der Bühnenfassung für viele Zuschauer weitgehend unsichtbar.

Wäre es doch ganz ein Hörspiel geblieben! Das eher harmlose Stück lebt von dem Reiz, dass man die Stimmen der vier höchst unterschiedlichen Amateursänger und ihres Dirigenten den einzelnen Strategien im Machtspiel zuordnen muss. In der Bar jeder Vernunft muss man stattdessen erleben, wie fünf hervorragende Schauspieler ihre Kraft an eine lahme Klamotte verschwenden (Regie: Carlo Klein).

Heinz Werner Kraehkamp ist die Karikatur eines Dorfkapellmeisters: mit Trachtenjackett, wilder Beethovenmähne und einer sorgsam gehüteten Auswahl an Taktstöcken, mit denen er wahlweise wild auf einen Notenständer haut oder in die Luft ficht.

Ebenso grotesk kommen die Hobbysänger daher: Der Tenor (René Schubert) mit Pavarotti-Allüren trägt ein Menjou-Bärtchen zum öligen Haar, die eigensinnige Sopranistin (Ilona Schulz), die bei jeder Probe einen halben Pullover produziert, eine selbst gestrickte Scheußlichkeit. Petra Zieser ist die ewig übermüdete, verschüchterte Altistin. Und dann gibt es da noch Heinz, den Bass. Heinz mit den dummen Ausreden, der immer im falschen Moment aufs Klo muss. Heinz, der geborene Prügelknabe.

Am Anfang steht der Chor noch gemeinsam gegen den grantelnden Dirigenten. Doch sobald der ihnen Großes verspricht (Ständchen zum Geburtstag des Bürgermeisters, Fernsehauftritt, Karibikreise), beginnt die Front zu bröckeln. Klar, dass Heinz das als Erster zu spüren bekommt. Und ebenso logisch, dass er sofort danach fingerschnipsend zum Denunzianten wird: „Frau Bockelmann strickt!“

Heinz ist immer schuld. Kein Wunder, dass ausgerechnet der Rüdiger Wandel, der diese dankbare Rolle spielt, das Hörspiel seinen Mitspielern zuerst schmackhaft machte. Aus Vertrauen in die Darsteller, die er eigentlich für ein anderes Projekt gewinnen wollte, ließ sich der künstlerische Leiter der „Bar jeder Vernunft“ zur „Chorprobe“ verleiten: So nahm das Unheil seinen Lauf.

Der Spannungsbogen knickt schon vor der Pause ein. Abwechslung bieten nur die eingestreuten Chorgesänge. „Oh Täler weit, oh Höhen“ ist zu hören, auch ein putziges Potpourri aus Kinderliedern über den Kuckuck und eine Parodie zeitgenössischer Musikstile: Der übertrieben expressive Choral passt vorzüglich zum Bühnenbild: ein 70er Jahre-Alptraum in Sichtbeton gestaltet. In diesem neonkalten Ambiente spielt der Dirigent seine Macht immer hemmungsloser aus. Jeder der vier muss sich symbolisch unterwerfen, und alle wetteifern darin, sich beim Tyrannen anzubiedern.

Wo das Hörspiel lautmalerisch verebbt, wird hier als letzte Steigerung ein Filmchen gezeigt, in dem das gedemütigte Quartett in Tierkostümen auftritt. Selbstredend in niedlichen Kostümen. Anscheinend will die „Chorprobe“ unbedingt von Gewalt und Entwürdigung reden. Doch dafür ist sie einfach zu nett. Miriam Hoffmeyer‚/B‘

Bis 5. 12., täglich außer montags, 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24