Dicke für den Winter

Sich hinterm Ofen verkriechen und lesen. So einfach geht das nicht in den Zeiten von Multimedia. Da müssen die Bücher schon spannend hoch drei sein  ■   Von Peter Huth

Eine Tür hat immer zwei Seiten. Aber egal von welcher Seite man kommt, man steht davor und muss die Tür öffnen, um hindurch zu gehen und dahinter zu gelangen. Wer garantiert nun, dass sich hinter der Tür, die man jeden Tag durchschreitet, auch jeden Tag dasselbe befindet?

Jedenfalls nicht die Schriftstellerin Tonke Dragt. Bei ihr eröffnet sich beim Öffnen der Tür ein neues Universum. Eine Parallelwelt, die sich zum Leben erwecken lässt, sobald der Held ihres Romans, der dreizehnjährige lesewütige Otto, bereit ist, die Tür in die Fremde nicht nur zu durchschreiten, sondern die Tür auch hinter sich zu schließen, loszulassen von der Sicherheit des Bekannten.

Getrieben durch ein geheimnisvolles unvollständiges Buch, das Otto ebenso geheimnisumwittert zugesteckt bekommen hat, erkundet er diese neue Welt. Geschickt zitiert Dragt sich selbst und baut den eingefleischten Dragt-Lesern ein Collage bekannter Situationen und Räume auf, was allerdings Otto nichts hilft. Der ist ein Newcomer und erlebt nach kurzen philosophischen Erläuterungen über Türen und dem Dahinter ein Abenteuer voller Magie und Geheimnisse in den Sälen der Januarischen Ambassade, wo er Christian dem Galgenkind begegnet, dem dunklen Marsjan, Herrn A. und Albert Einstein. Alle suchen sie Asyl in der Botschaft eines Landes, von dem man nur weiß, dass es hinter einer Tür liegt. Tonke Dragt: „Meere von Zeit, 1. Buch: „Auf der anderen Seite der Tür“, Freies Geistesleben, ab 14 Jahre, 39 DM

Durch die Wüste Gobi

Ein Brief, von dem wir als Leser nicht wissen, was drin steht. Ein Brief, übergeben an zwei dreizehnjährige Knaben von einem chinesischen Bürgerkriegsgeneral. Zwei Knaben aus Peking, Großer-Tiger und sein deutscher Freund Christian, die nur mal die Schule schwänzen, um einen Drachen steigen zu lassen, geraten in ein Abenteuer, das sie zu Beginn dieses Jahrhunderts quer durch die Steppen der Mongolei und die Wüste Gobi führt. Fritz Mühlenweg schildert den Weg der beiden unfreiwilligen Helden in Episoden voller Situationskomik, Witz und Spannung.

Begegnungen mit Karawanenführern, Räubern, Wüstenfürsten und Nomaden verlangen von den beiden Mut und Ausdauer. Um überleben zu können, müssen sich die Jungen und damit auch die Leser mit asiatischen Lebens- und Denkgewohnheiten auseinandersetzen. Ein wahrer Schmöker von knapp achthundert Seiten, der einen gar nicht mehr loslassen will. Fritz Mühlenweg: „Großer-Tiger und Christian“, dtv junior extra, ab 12 Jahre, 29,90 DM

Treffpunkt Einsamkeit

Zwei Menschen fliehen in die kanadische Wildnis. Ein berühmter Pianist hofft, in der Stille der Wälder komponieren zu können. Seinen Klavierflügel hat er per Hubschrauber einfliegen lassen. Burl hat es gesehen. Trotzdem sucht er ihn nicht. Er hat vor seinem brutalen, zerstörerischen Vater die Flucht ergriffen. Halb verhungert findet er das kleine Haus des Musikers direkt an einem See. Der Musiker freut sich nicht. Burl schleicht sich langsam in sein sträubendes Herz, wenn da auch nicht viel Platz ist neben der Musik. Er gibt ihm sogar Klavierunterricht, und Burl zeigt ihm, wie man sich vor Bären rettet. Es ist die beste Zeit in Burls Leben, und er möchte sie festhalten. Auch nach dem Tod des Maestros. Dafür wagt er sich bis Toronto. Doch sein Vater erträgt es nicht, dass seinem Sohn etwas gelingen könnte. Eine sehr spannende, sehr gut geschriebene Abenteuererzählung mit sprachlichen Kleinoden wie: „Ein Lächeln wartet, um ein kleines Tänzchen auf ihren Lippen hinlegen zu können.“ Tim Wynne-Jones: „Flucht in die Wälder“, Hanser Verlag, ab 13 Jahre, 29,80 DM

Für starke Nerven

In dem Buch „Gejagt“ von Peter Carter, Spezialist für historische Themen, versucht ein italienischer Soldat, ein jüdisches Kind vor Barbies Häschern in Sicherheit zu bringen. Das Auto verunglückte auf der Flucht vor den einmarschierenden Deutschen. Er und das Kind sind die einzigen Überlebenden. Er ist ein einfacher Mensch mit einem großen Herzen. Unbewusst beschämt er manchen starken Mann, der Angst hat, ihnen den Weg über die Berge von Savoyen nach Italien zu zeigen. Doch sein Mut ist auch ansteckend. Manche bezahlen ihre Hilfe mit dem Leben. Wie Christopherus trägt er das Kind über Flüsse und Gebirge. Immer sind ihm die SS und ihre Verbündeten knapp, manchmal atemberaubend knapp auf den Fersen. Nie hat er das Gefühl, ein Held zu sein. Obwohl die Sehnsucht nach Italien und der eigenen vielköpfigen Familie groß ist, tut er, was er tun muss. Wer sollte sonst Judah retten? Und ihn einfach seinem Schicksal überlassen? Es wird ihm angeboten, ihn bei einem Pfarrer zu verstecken. Doch er kann seine Verpflichtung nicht abschütteln. Das ist stärker als der Wunsch, seine eigene Haut zu retten. Peter Carter: „Gejagt“, Freies Geistesleben, ab 14 Jahre, 36 DM

Abrakadabra

Für Harry Potter, den magischen Helden, ist die Schule ein lebensgefährlicher Ort. Da wird ihm manch Schüler zustimmen. Aber Potters Probleme sind echt existenziell. Manchmal ist der Mörder eine Maus, aber Harry ist keine Katze. Verlassen kann man sich jedoch auf nichts. Mit explosiver Fantasie wird gehext und gezaubert, bis keiner mehr weiß, wer ist wer, geschweige wie wer aussieht. Raffinierte Spannungsmixtur, die süchtig macht. J. K. Rowling: „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, Carlsen, ab 10 Jahre, 28 DM