Weiße Katzen, weißere Kater

■  Serbischer Turbofolk, kroatisches Filmwunder: In Berlin und Potsdam trafen sich eher unfreiwillig exjugoslawische Kulturen. Nachfragen wurden dabei weniger gern akzeptiert

Die Jungs von der Belgrader Band No Smoking könnten zufrieden sein. Das vorwiegend ostdeutsche jugendliche Publikum im Potsdamer Filmmuseum macht nach der Vorstellung einen glücklichen Eindruck – der serbisch-zigeunerische Turbofolk, bekannt aus Emir Kusturicas Filmen „Time of the Gypsies“ und „Schwarze Katze, weißer Kater“, hat die mitteleuropäischen Seelen geweitet.

Aber: Dem Meister Kusturica ist auf der vorangegangenen Pressekonferenz eine Laus über die Leber gelaufen beziehungsweise ein Journalist. „Es gibt die Meinung: Wer sich heute in Serbien nicht offen gegen das Regime stellt, der unterstützt es. Was meinen Sie dazu?“ Bei dieser ausgesprochen deutschen Frage ist Kusturica der Kragen geplatzt. Für ihn war „Schwarze Katze, weißer Kater“, wo er ein turbulent-malerisches Bild vom Leben eines serbischen Roma-Clans während des Bosnienkriegs entworfen hat, eine „Therapie“: positiv, politikfern – aber dann seien diese „neuen Medienleute mit ihren verlogenen Ideen gekommen, die uns in den letzten zehn Jahren das Leben vergiftet haben“.

Emir Kusturica, auf Einladung der Volksbühne gekommen, wäre lieber in Ruhe gelassen worden. Die Berliner Organisatoren um den „Volksbühnen-Bildner“ Bert Neumann haben sich auch alle Mühe gegeben, schon durch die Benennung der Veranstaltungsreihe am 25. und 26. November eine breitere Diskussion zu unterbinden: „Feind-Bild Serbien 2: Serbien muss sterbien? Nachkrieg in Belgrad“. Aber bestimmte Nachfragen muss sich auch ein Kusturica, aus einer muslimischen Familie stammendes „bosnisches Wunderkind“ und seit seiner Übersiedlung nach Belgrad kultureller Exportschlager Serbiens, gefallen lassen. Ideologisch hat er es seinen Gönnern beim Belgrader Staatsfernsehen nicht schwer gemacht: 1991 sang er in Lettre International das Lieblingslied der serbischen Chauvinisten: Alle Nationalismen seien zugelassen gewesen im späten Tito-Jugoslawien – „nicht aber der serbische“. Die Slowenen, die gerade eine Attacke der jugoslawischen Bundesarmee überstanden hatten, beschimpfte er als die „Schildknappen Österreichs“. Und während Vukovar unter serbischem Beschuss lag, wetterte er gegen die Kroaten, die „immer ein Werkzeug des katholischen Klerus“ gewesen seien, der „seit Jahrhunderten“ Kreuzzüge in Jugoslawien führe. Genau dieses historisch sehr einseitige Wehgeschrei ist es gewesen, was später die serbische Öffentlichkeit so unempfindlich für die Opfer der eigenen Kriegführung gemacht hat.

Auch No Smoking wollen vor allem eines: Party. „This is the beginning of a wonderful friendship“, leitet „Kusta“ den Abend ein, und Sänger Nenad Jankovic alias Dr. Nele Karajlic holt immer wieder Mädels aus dem Publikum auf die Bühne, die mal mit den Musikern tanzen, mal dem virtuosen Violinisten in ungarischer Grenzeruniform bei seinen Kunststückchen assistieren. Ganz zahm beginnt der Geiger die „Kleine Nachtmusik“. „It's boring, isn't it?“, fragt Nele dazwischen, und dann wird munter weitergebratzt: fröhlicher Anarchismus als folkloristischer Exportschlager.

Die offizielle Stilisierung der kroatischen Kunst, parallel in Berlin zu begutachten, geht genau in die umgekehrte Richtung. Ein Vertreter der kroatischen Regierung lud vom 23. bis 30. November zu den „Kroatischen Filmtagen“ ein, auf dass das Publikum „die Kroaten als ein zu Mitteleuropa und zum Mittelmeerraum zugehöriges Volk kennen lernen“ könne: vom Balkan kein Wort. Historische Unterfütterung lieferte der Zagreber Filmwissenschaftler Ivo Škrabalo, der schon 1984 eine separate, nationale Geschichte des kroatischen Films geschrieben hatte – und dafür prompt von der Kommunistischen Partei attackiert worden war. Škrabalos Bemühen, die Vergangenheit des Kinos zu kroatisieren, artet stellenweise in unfreiwillige Komik aus: „Kroatien hat schon 1906 in Zagreb das erste ständige Kino gehabt . . ., sodass Kroatien in diesen Jahren in der Entwicklung des Kinos synchron mit der Welt war – außer dass es keine eigenen Filme produziert hat.“

Tatsächlich ist das kroatische Kino bis heute eine marginale Erscheinung. Die meisten Filme finden nicht einmal in Kroatien selbst genügend Zuschauer, sodass aufwendigere Produktionen wegen chronischen Geldmangels nicht in Frage kommen. Zu jugoslawischen Zeiten war der Binnenmarkt größer, dafür galt laut Škrabalo aber „alles, was interessant war, in der Welt als jugoslawischer Film“ – welch Ärger. Die meisten der im Babylon Mitte und im Filmmuseum Potsdam gezeigten Filme stammen aus der Zeit zwischen 1958 und 1971, als sich die jugoslawische Kulturpolitik zunehmend liberalisierte und der „Autorenfilm“ seinen Aufschwung nahm.

Krsto Papic etwa hat sich 1969 in „Handschellen“ eines zutiefst balkanischen Themas angenommen: der patriarchalen Dorfgesellschaft im steinigen Hinterland der Adriaküste, wo eine junge Frau auf ihrer eigenen Hochzeit erst vom stalinistischen Dorfpascha vergewaltigt und dann von einigen männlichen Hochzeitsgästen als „Hure“ zu Tode gehetzt wird. In den letzten Jahren sind solche Thematiken beim kroatischen Publikum eher unbeliebt gewesen. „Im Krieg wollen die Leute Komödien sehen“, meint Papic, als er den Kassenschlager seines jüngeren Kollegen Vinko Brešan kommentiert. „Wie der Krieg auf meine Insel kam“ von 1996 zeigt Krieg light: Auf einer Adriainsel versucht die Bevölkerung den serbischen Kommandanten einer Armeekaserne vor Dummheiten zu bewahren. Tägliche karnevalistische Aufzüge vor dem Kasernentor zermürben den strammen Offizier mit dem Hundegesicht. Schließlich ruft ihn seine kroatische Frau per Megafon auf: „Schatz, komm heim, ich habe dir deine Lieblingsspagetti gekocht.“

Klaus Buchenau