Ein regelrechter Wiener Schmarrn

■ In Österreich ist die Regierungsbildung mühseliger als je zuvor. Auffällig ist aber der starke Flirt zwischen der ÖVP und Haiders FPÖ

In der ÖVP wächst der Druck der Basis, das Bündnis mit den Roten aufzugeben und sich den Freiheitlichen zuzuwenden

Wien (taz) – „Können Sie sich vorstellen, SPÖ zu wählen, wenn es im Frühjahr Neuwahlen gibt?“ Die Liste der Punkte, die der junge Mann vom Meinungsforschungsinstitut am Telefon abfragt, lässt erahnen, wie groß die Verzweiflung der größten Partei Österreichs inzwischen ist. Acht Wochen nach den Nationalratswahlen hat Viktor Klima keinerlei Aussichten, ein arbeitsfähiges Kabinett zusammenzuzimmern. Bundespräsident Thomas Klestil hat den interimistisch regierenden Bundeskanzler wohlweislich nicht mit einer Regierungsbildung, sondern mit Sondierungsgesprächen beauftragt. Wenn Klima am 2. Dezember in der Präsidentenkanzlei zum Rapport erscheint, wird er wenig Konkretes mitbringen.

Die Ausgangsbasis für die SPÖ ist düster. Die bürgerliche ÖVP gefällt sich in ihrer Zwitterrolle als Regierungspartei (interimistisch) und Opposition. Die jüngsten Reformvorschläge der SPÖ hält Parteichef Wolfgang Schüssel für läppisch und unzureichend, ihn zu einer Neuauflage von Rot-Schwarz zu bewegen. Am Beschluss des Parteivorstands, in der nächsten Regierung nicht mitzumachen, hätte sich nichts geändert. In zentralen Themen wie der Sicherheitsfrage liegen die beiden Koalitionspartner weiter auseinander als vor den Wahlen. Die SPÖ will weder in der europäischen Wehrgemeinschaft eine aktivere Rolle übernehmen, noch das Verteidigungsbudget erhöhen. Für Verteidigungsminister Werner Fasslabend von der ÖVP, der das Bundesheer mangels Finanzen nicht auf Nato-Standard umstellen kann, ist dies völlig inakzeptabel. Mit der FPÖ Jörg Haiders müssen die Sozialdemokraten zwar reden, doch regieren, das hat Klima erneut bekräftigt, wolle man mit ihnen auf keinen Fall. Daran hat sich auch durch die freundlich verlaufenen Gespräche nichts geändert. Augenscheinlich ist hingegen ein Flirt zwischen ÖVP und FPÖ. Haider, der in einem Fernsehinterview mit einem zufriedenen Grinsen konstatierte, er wisse, dass Schüssel gerne Kanzler werden wolle, hat seine Köder ausgelegt. Haider kann als Chef der zweitstärksten Partei dem Vorsitzenden der drittstärksten den Kanzler anbieten und damit die stärkste Partei ausbooten. Das Szenario ist simpel: Klima wird mit der Regierungsbildung beauftragt und scheitert. Der Bundespräsident muss den Auftrag an eine Person weitergeben, die bessere Aussichten hat, eine Koalition zu Stande zu bringen. Also Jörg Haider.

Den immer wieder von der SPÖ lancierten Drohungen, eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen, wurde von Klestil eine Absage erteilt. Sie wird jetzt nur als Vorstufe zu Neuwahlen gehandelt. Denn den Nationalrat kann der Bundespräsident nur auf Initiative der Regierung auflösen. Neuwahlen könnten tatsächlich neue Optionen eröffnen. Jüngste Umfragen signalisieren Zugewinne für SPÖ und Grüne, die eine rot-grüne Koalition zulassen würden. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen hat angedeutet, seine Parteigenossen müssten sich „auf den Regierungswillen vorbereiten“.

Gleichzeitig wächst in der ÖVP der Druck der Basis auf ihre Parteiführung, das Bündnis mit den ungeliebten Roten aufzugeben und sich den ideologisch viel näheren Freiheitlichen zuzuwenden. Immer mehr prominente ÖVP-Politiker wollen den Oppositionsbeschluss nicht mehr so eng sehen. Tatsächlich gibt es zwischen den beiden Parteien, die nur einen Hauch von 415 Stimmen auseinanderliegen, weit gehende Übereinstimmungen. Vor allem in der liberalen Wirtschaft sowie der Sicherheits- und Familienpolitik liegen sie eng beieinander. Seit der öffentlichen Entschuldigung Haiders für „missverständliche Äußerungen“ zu Holocaust und Nationalsozialismus sei der Kärntner Landeshauptmann nicht mehr mit dem Stigma des Extremismus behaftet.

Nicht abgerückt ist Haider von der Stimmungsmache gegen Ausländer. Das Auftreten von Tuberkulose in einer Familie in Oberösterreich nahm er zum Anlass, in Kärnten Reihenuntersuchungen anzukündigen: in Schulen mit hohem Ausländeranteil. Eine wegen der langen Inkubationszeit von Tbc laut Fachärzten völlig unsinnige Maßnahme, die keinen anderen Zweck hat, als die Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Von den 8.000 Ausländern, die nächstes Jahr in Österreich aufgenommen werden, will Kärnten statt 290 nur 60 aufnehmen.

Ralf Leonhard