Trau keinem über dreißig

■  Grüne streiten über den Atomausstieg und die von der Regi   erung anvisierte Laufzeit von 30 Jahren für AKWs. Die Parteibasis will den Kompromiss nicht akzeptier       en, Anti-Atom-Gruppen sehen Affront

Berlin (taz) – Die grüne Partei ringt um eine Einigung zum Atomausstieg. Wie bei der unseligen „Fünf Mark pro Liter Sprit“-Diskussion droht wieder eine Zahl: 30 Jahre Laufzeit für die deutschen Atomkraftwerke lautet der Kompromiss, auf den das Bundeskabinett inklusive der grünen Minister Jürgen Trittin und Joschka Fischer zusteuert. Das wird von vielen Grünen und den meisten Landesverbänden als viel zu lange abgelehnt. Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg, Bayern und das Saarland haben sich entsprechend geäußert. Anti-Atom-Initiativen sehen in dieser Zahl einen Affront. In dieser Wahlperiode würde kein einziger Reaktor mehr vom Netz gehen, das letzte deutsche AKW käme 2019 vom Netz.

Gestern trafen sich in Berlin der Bundesvorstand und die meisten Vorstände der Landesverbände. „Es hat noch keine endgültige Positionsbestimmung gegeben“, meinte am Nachmittag Parteisprecherin Antje Radcke. Sie erwartete eine kontroverse Diskussion, auch mit Beteiligung von Fischer und Trittin. Das Treffen dauerte bei Redaktionsschluss noch an.

Schon bei einem grünen Spitzentreffen am Freitag war es zu keiner Einigung gekommen. Die sei aber „dringend“, meinte Radcke gestern. Erfolgreiche Verhandlungen mit den AKW-Betreibern könne es nur geben, wenn sich die Koalition auf eine Position verständige.

Eigentlich hatten die Grünen eine Laufzeit von 25 Jahren schon als Kompromiss gesehen. Darauf wies gestern auch Hartwig Berger hin, Sprecher des grünen energiepolitischen Ratschlags. Nach etwa 19 Jahren hat ein Reaktor alle seine Kosten wieder eingespielt, so die Schätzungen. „25 Jahre liegen schon auf der sicheren Seite“, so Berger. „30 Jahre sind eigentlich eine Niederlage.“

Absegnen soll den Kompromiss letztendlich ein grüner Parteitag, wahrscheinlich erst im März. Die Verhandlungen mit den AKW-Betreibern sollten aber eigentlich schon vorher beendet sein.

Die Anti-Atom-Initiativen sind enttäuscht von der sich abzeichnenden Kompromisslösung. Henrik Paulitz von den „Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW): „Die Grünen sind in der Atompolitik vollständig gescheitert.“ In dieser Legislaturperiode werde Rot-Grün kein einziges AKW abschalten. Stattdessen hätten die Grünen mit ihrem Ja zu Krediten und Bürgschaften für Osteuropa und Brasilien sogar neue Atomkraftwerke mitfinanziert.

Das Modell „30 Jahre Laufzeit plus drei Jahre Übergangsfrist“ für manche Reaktoren sei Lichtjahre von den Vorstellungen der Bürgerinitiativen entfernt, glaubt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. „Das ist ein Auslaufmodell, aber kein wirklicher Ausstieg.“ Die Regierung könne nicht Laufzeiten von 25 oder 30 Jahren garantieren, so Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz: „Gegen technisches und menschliches Versagen gibt es keine Sicherheit.“ R. Metzger, N. Maschler