Kruzifix! Bayern ohne Balkensepp

■ Oberste Richter brüskieren Gläubige: Kreuz muß raus aus der Schule. Waigel will Grundgesetz ändern

München/Karlsruhe (taz) – Im Freistaat Bayern gibt es demnächst mindestens 35.000 Kruzifixe zu verschenken. Denn nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die gestern veröffentlicht wurde, müssen die Kreuze in den Schulräumen der bayerischen Grund- und Hauptschulen abgenommen werden. „Ob es ein Entsorgungsproblem gibt, darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht“, sagte der sichtlich betroffene Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, Stefan Erhard.

Die Karlsruher Entscheidung beendet ein zehn Jahre dauerndes Verfahren, das eine Antroposophen-Familie aus dem Landkreis Schwandorf angestrengt hatte. Ernst und Renate Seler, Eltern von drei Kindern, fürchten, daß „der große Leichnam am Kreuz das Unterbewußtsein der Kinder negativ prägt“, wie sie 1991 erklärten. Die Verfassungsrichter gaben ihrer Klage mit fünf zu drei Stimmen recht. Denn das Grundgesetz überlasse es dem einzelnen, welche religiösen Symbole er anerkenne oder welche er ablehne.

CSU-Chef Theo Waigel will nun prüfen lassen, ob eine Ergänzung des Grundgesetzes notwendig ist, damit die Kreuze bleiben können. Und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärte, er sei „sehr traurig“ und hoffe auf die christliche Haltung der meisten Eltern: Sofern diese einverstanden wären, könne man „alles so belassen, wie es jetzt ist“. Ein Kreuz im Schulraum sei schließlich, so Stoiber, kein Zeichen aggressiver Missionierung.

Die bischöfliche Pressestelle Augsburg bezeichnete den Richterspruch als „Anschlag auf die christlich geprägte abendländische Kultur“. Noch massiver wurde der Memminger Dekan Michael Walch, bekanntgeworden durch sein massives Vorgehen gegen Pro-Theissen-Demonstranten bei den Memminger Hexenprozessen: „Ich erinnere mich an das Dritte Reich und die DDR, wo Kruzifixe verboten waren. In welchem Staat leben wir überhaupt, daß ein paar Leute über Millionen andere befinden können.“

Erfreut hingegen zeigte sich Herbert Achternbusch, der wegen der Jesusfigur in seinem Film „Das Gespenst“ aggressive Missionierungsversuche von Katholiken aushalten mußte. Zur taz sagte Achternbusch, dieser Schritt hätte schon bei der Staatsgründung des Deutschen Reiches 1871 erfolgen müssen. „Als nächstes muß die staatlich kassierte Kirchensteuer weg“, so Achternbusch. Auch die Münchner Schulreferentin Elisabeth Weiß-Söllner hat „keine Schwierigkeiten, diesen Wandschmuck abzunehmen“.

Am 1987 eingeführten Morgengebet in bayerischen Schulen will das Kultusministerium trotzdem festhalten. „Ein Gebet vor der schulischen Arbeit eignet sich in besonderer Weise, eine richtige innere Einstellung zu den Aufgaben des Tages zu gewinnen“, hatte Kultusminister Hans Zehetmeier geraten. Und daran halten wir fest, meinte ein CSU-Sprecher.

Der Streit um den „Lattengustl“ gibt Anlaß, an den kürzlich verstorbenen Romancier Charles Bukowski zu erinnern. Der fragte sich immer wieder, was von einer Religion zu halten sei, deren „heiligstes Symbol ein Folterwerkzeug ist“. Felix Berth/Klaus Wittmann Seite 10