Der dumpfe Rhythmus, wo ein jeder Nazi mit muss

■ Das Junge Theater zeigt mit „Über alles in der Welt“ eine Szenenfolge zum Rechtsradikalismus, in der die Nazis das Sagen haben

Der Kevin, sagt Frau Antje vom Fernsehen, hat was „ganz doll Schlimmes gemacht.“ Die Zeit war reif, ein fieser Rülpser kam ihm hoch, genau zum richtigen Zeitpunkt, genau in jenem Augenblick, da ein Mensch an ihm vorüberging. Nicht irgendeiner. Ein Ausländer, dunkelhäutig noch dazu, geradezu geschaffen dafür, ihm den Schädel einzuschlagen.

Und nun sitzt Frau Antje da, guckt dem hübschen Kevin verzweifelt ins Gesicht, sagt ihm, er sei doch jetzt ein Täter. Und Kevin antwortet: „Klingt geil“. Geil, genau, weil Kevin ein veritabler Deutscher ist, der noch, wenn ihn der Schmutz aus knoblauchatmenden Kanacken in die Knie zwingt, jemanden unter sich wissen will, der auf dem Bauch liegt. Und was, wenn Kevin auf dem Boden liegt? – Dann, ja dann ist auch unter der Erde noch Platz für den ein oder anderen ...

Ein Kotzbrocken von Mensch, den Denis Fischer da auf der Bühne des Jungen Theaters mimt. Und er ist nicht allein, gesellt sich doch in der szenischen Collage „Über alles in der Welt“ ein adrett frisierter Nazi (Claus Franke) und eine keksfutternde und artig Liedgut intonierende Kleinfamilie hinzu, bei der sich auf die Zeile „In Buchenwald, in Buchenwald“ ganz fix „da machen wir die Juden kalt“ reimt. Fiderallallalla.

Anderthalb Stunden geht das so, dreizehn kurze Szenen reihen sich lose aneinander, entliehen unter anderem bei den Dramatikern Thomas Bernhard, Heiner Müller und George Tabori, verknüpft durch das stumme Video eines gelangweilten Fernsehglotzers und angereichert mit allerlei O-Tönen von Nazis, die der Welt erklären, warum sie Kanaken klatschen für eine gute Idee halten. Eine Geschichte ist das nicht. Statt dessen ein facettenreicher Blick in den tiefbraunen Schoß, aus dem nichts anderes als Hass und Gewalt heraus kriecht.

Frau Antje (Nomena Struß9 hält schwach dagegen, fragt immer wieder nach dem „Warum“, obwohl, wie Kevin sagt, es darauf doch keiner Antwort bedarf, um trotzdem einfach mal hinzulangen auf des Kanaken Kopf. Und der Kanake? Heißt Kebab (Erkan Altun), kriegt auch die Wut, schmeißt Scheiben bei ALDI ein und träumt davon, mal eine Nacht unbeobachtet an den Schaufensterfronten des Weserparks vorüber ziehen zu können. So ist das wohl, und weniger als die Sprüche der Glatzen bleibt am Ende die Sprachlosigkeit ihrer Gegner in Erinnerung, deren hilflose Appelle an wenigstens rudimentäre Formen moralischen Empfindens hinter den knackigen Parolen von Kevin und dem adretten Jungnazi verschwinden. So dominieren fast unwidersprochen die Nazis die Bühne, wissen den Schweißgeruch „Millionen fetter Spießer“ hinter sich und malträtieren das Publikum ununterbrochen mit menschenverachtendem Hasstiraden.

Die Idee der Inszenierung ist offensichtlich: Moralisierung ist mega-out; statt dessen zeigen wir schonungslos, wie's wirklich ist, ein fieser Nazi zu sein. Und hoffen insgeheim, dass die Zuschauenden mit der Zeit ganz von allein merken, dass die Naziwelt eine böse Welt ist. Das ist konsequent umgesetzt, hinterlässt aber ein ungutes Gefühl im Bauch. Denn das ein oder andere Argument gegen die nazistischen Theorien ließe sich ja durchaus vorbringen. Und die Bühne verwandelte sich nicht schon dadurch in eine moralisierende Anstalt, wenn dem dumpfen Geplapper der Rechten mehr entgegen gehalten würde als ein stilles Hoffen auf Menschen, die mehr im Kopf haben als Dünnpfiff.

So aber bleibt „Über alles in der Welt“ ein ambivalentes Projekt, das auf eine offensive Auseinandersetzung mit der Nazi-Ideologie verzichtet. Deshalb scheitert auch Frau Antjes Versuch, während und nach dem Stück die ZuschauerInnen durch gezielte Fragen zur Auseinandersetzung mit den rechten Parolen zu bewegen. Denn vor allem macht's sprachlos, unentwegt Nazischwall ausgesetzt zu werden. Und wenn der Eindruck nicht täuschte, waren einige im Publikum, die sich gewünscht hätten, dass mal jemand den Nazis widerspricht. Auch auf der Bühne.

Franco Zotta

Weitere Aufführungstermine: Heute 10 u. 20 Uhr; 3. und 4. Dezember 20 Uhr; 14. und 15. Dezember jeweils um 10, 12 und 20 Uhr; 16. und 17. Dezember jeweils um 10 und 12 Uhr. Karten und weitere Infos erhält man unter 700 141.