„Die Bluter sind im Zugzwang“

■ Ute Braun, die Vorsitzende der Deutschen Hämophiliegesellschaft, über das Hilfe-Gesetz

taz: Sie sind mit der jetzt erzielten „Humanitären Hilfe“ für die Bluter nicht zufrieden? Warum akzeptieren Sie die Regelung dennoch und versuchen nicht, auf rechtlichem Weg eine angemessene Entschädigung durchzusetzen?

Ute Braun: Wir sind vor allem mit der Höhe der Leistungen unzufrieden und mit der Zahlung als monatliche Rente. Bei der geringen Lebenserwartung der Betroffenen wäre eine Einmalzahlung zumindest wahlweise sinnvoller und gerechter gewesen. Wir sind allerdings im Zugzwang. Damit die Betroffenen überhaupt noch etwas kriegen – manche haben ja nur noch wenige Monate zu leben –, muß das Gesetz ganz schnell in Kraft treten.

Sie haben also gar nicht die Zeit, um noch zu prozessieren und für eine Verbesserung zu kämpfen.

Das ist unser Problem. Wir können nicht mehr länger warten. Gleichzeitig wollen wir aber versuchen, nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Erweiterung zu erreichen. Es müssen weitere Gelder zugestiftet werden, und es müssen weitere Anspruchsberechtigte aufgenommen werden. Es kann nicht angehen, daß die Eltern von verstorbenen Blutern, die ihre Kinder aufopferungsvoll gepflegt haben, jetzt leer ausgehen. In vielen Fällen haben die Mütter sogar ihren Beruf aufgegeben. Da ist die Frustration natürlich sehr groß, daß sie jetzt übergangen werden. Und auch die Frauen von Blutern müssen in jedem Fall eine Hinterbliebenenrente bekommen.

Das ist nicht der Fall?

Wenn die Männer nach Inkrafttreten des Gesetzes sterben und – egal wie lange – Rentenzahlungen erhalten haben, bekommen die Frauen nichts.

Der Stiftungstopf reicht nur bis zum Jahr 2002. Wer dann noch lebt, ist auf Sozialhilfe angewiesen?

Das ist richtig, und das kann nicht angehen. Es muß so lange gezahlt werden, bis der Zweck der Stiftung erfüllt ist.

Spekuliert der Zahlungsmodus einer monatlichen Rente auf eine biologische Lösung des Problems? Wer früher stirbt, hat eben Pech gehabt und kriegt weniger Geld.

Von manchen Betroffenen wird das so gesehen. Eine Rentenzahlung wäre vor einigen Jahren, nach Bekanntwerden der Infektion, eine vernünftige Lösung gewesen. Dann hätten die Betroffenen über längere Zeit Geld bekommen und wären zufriedener. Heute sind die meisten Bluter aber schon zehn Jahre infiziert und haben nur noch eine kurze Lebensspanne vor sich, wenn nicht in der Aids-Therapie der große Durchbruch kommt.

Wie viele sind denn inzwischen schon gestorben?

600 Bluter sind inzwischen an Aids gestorben, 130 allein in den letzten eineinhalb Jahren.

Wie reagieren ihre Mitglieder auf die Regelung?

Die Enttäuschung ist groß. Nachdem Herr Seehofer und der Bundestag den Bericht des Untersuchungsausschusses angenommen hatten und nachdem sich Herr Seehofer im Namen der Bundesregierung entschuldigt hat, haben wir mehr erwartet. Die jetzige Regelung wird den Vorgaben des Untersuchungsausschusses nicht gerecht. Wenn schon die Länder nicht zu größeren Zahlungen bereit waren, dann hätte hier der Bund mehr leisten müssen.

Von den Betroffenen wird zusätzlich eine Verzichtserklärung verlangt. Wer Geld haben will, muß auf weitere Prozesse verzichten. Akzeptieren Sie das?

Das ist ein großes Problem. Derzeit laufen ungefähr 100 Klagen von Betroffenen, die Schmerzensgeldzahlungen verlangen. Das muß sich jeder einzelne natürlich sehr gut überlegen, wie er jetzt reagiert. Aber vielen wird gar nichts anderes übrigbleiben, als die Gelder aus der Stiftung anzunehmen, weil die bisher bezahlte Unterstützung aus dem Soforthilfefonds mit Inkrafttreten des Gesetzes wegfällt. Wer die Regelung nicht akzeptiert, würde erst mal mit nichts dastehen. Natürlich haben einige Kläger sehr gute Aussichten, vor Gericht zu gewinnen, aber wer kann über Jahre einen solchen Prozeß noch durchstehen? Interview: Manfred Kriener