„Die Monumentalität ist grauenhaft“

■ Der Historiker Julius Schoeps wirft den Förderern eines nationalen Mahnmals für die jüdischen Opfer des Holocaust vor, ihr Konzept mit Brachialgewalt durchzupauken

taz: Sind Sie grundsätzlich gegen ein nationales Holocaust- Mahnmal in Deutschland oder speziell nur gegen den prämierten Wettbewerbsentwurf.

Schoeps: Ich bin prinzipiell gegen ein nationales Denkmal nur für Juden allein. Die Nazis haben auch Homosexuelle, Roma und Sinti und politsche Gegner ermordet. Es ist pervers die Toten in gedenkwürdige und nicht-gedenkwürige Opfer auseinanderzudividieren, und noch perverser, Juden in den Mittelpunkt zu stellen und andere Gruppen mit irgendwelchen Tafeln in die Randbezirke der Stadt abzudrängen. Tote sind Tote! Im Klartext: Ich bin sehr wohl für ein nationales Denkmal in einer ästhetisch ansprechenden Form, aber nur für eines, daß an alle ermordeten Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

Diese Debatte ist seit der Ausschreibung entschieden.

Ich will mich mit dem Ergebnis überhaupt nicht abfinden. Von Anfang an habe ich mich dagegen gewandt. Es ist überflüssig, denn in Deutschland existieren die historischen Stätten, die Konzentrationslager. Dort gibt es auch die Gedenkstätten, zu denen die Schulklassen kommen und wo pädagogische Erinnerungsarbeit geleistet wird. Es ist doch aberwitzig, daß die brandenburgischen Gedenkstätten wie Sachsenhausen und Ravensbrück mangels Geld ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können und gleichzeitig für 20 bis 30 Millionen Mark an einem künstlichen Ort ein Monument nur für eine Gruppe geschaffen wird.

Dafür kann die Wettbewerbsjury nichts.

Also erstens finde ich, wenn ich mich schon auf das Ergebnis und den Ort einlassen muß, diese Monumentalität ganz grauenhaft. Wenn 20.000 Quadratmeter Platz von der Bundesregierung schon zur Verfügung gestellt worden sind, heißt dies doch nicht, daß man auch 20.000 Quadratmeter zubauen muß. Die deutsche Schuld wird doch nicht kleiner, wenn das Denkmal größer ist. Aber eigentlich wundert mich dieses Mißverständis überhaupt nicht. Eine öffentliche Debatte fand überhaupt nicht statt ...

... aber jetzt.

Eigentlich müßte man jetzt innehalten und einen Konsens zwischen den Kindern der Täter und der Opfer finden. Das Denkmal interessiert doch beide. Aber davon ist nichts zu spüren, nicht mal der Versuch. Eine kleine Gruppe von Interessierten paukt nach wie vor ihr Konzept mit Brachialgewalt durch, ohne Rücksicht auf Verluste.

Meinen Sie den „Förderverein“ mit so prominenten Namen wie Lea Rosh und Edzard Reuter?

Natürlich. In einem Gespräch mit Lea Rosh habe ich sie darauf hingewiesen, daß es auch viele jüdische Kritiker dieses Denkmals gibt. Sie hielt mir kühl entgegen: Was gehen mich die paar Juden an. Das gleiche sagte sie auch Ignatz Bubis.

Der Historiker Arno Lustiger hat der taz gesagt, daß er gerichtlich vorgehen wird, wenn die Namen seiner Verwandten auf dem Denkmal genannt werden. Sie auch?

Die Namen von 4,2 Millionen Ermordeten auf einem Denkmal zu nennen, ist das absurdeste, was ich seit langem gehört habe. Die Namen der Toten aus Osteuropa kennt man gar nicht und Tausende von Namen müßten obendrein hundertfach auftreten. Das ist das Gegenteil von Individualisierung. Aber mein entscheidender Einwand lautet: Wieso glaubt man eigentlich, daß Opfer keinen Datenschutz genießen dürfen. Ich jedenfalls werde, wenn meine Familie genannt sein sollte, eine einstweilige Verfügung dagegen beantragen und mit dem Datenschutz argumentieren.

Das müssen Sie mir erklären. Wieso verletzt das den Datenschutz. In Yad Vashem liegen doch auch die Gedenkbücher mit den Namen der Toten?

Für einen Juden ist die Erinnerung an das, was da geschehen ist, die größte Erniedrigung, die man sich vorstellen kann. Und diese Erniedrigung soll in einem Denkmal auch noch für immer und ewig verewigt werden. Da wird die Schmach doch wiederholt und besonders, wenn nur die Juden als Opfer genannt werden. Das stimmt doch alles vorne und hinten nicht. Und mit dem Datenschutz zu argumentieren hat durchaus seine Logik. Das deutsche Archivgesetz schützt die Täter bis 30 Jahre nach ihrem Tod. Das nenne ich wahren Täterschutz. Und wenn es den gibt, dann muß es auch einen Opferschutz geben. Ich jedenfalls fühle mich in meinen Persönlichkeitsrechten verletzt, wenn die Namen meiner Verwandten gegen meinen Willen genannt werden.

Im Talmud heißt es aber, daß die Toten erst dann wirklich tot sind, wenn auch die Erinnerung an sie gestorben ist. Lea Rosh argumentiert mit diesem jüdischen Brauch die Namen zu bewahren.

Sie hat das vollkommen mißverstanden. Sich zu erinnern, auch über Jahrhunderte hinweg, gehört für die Juden zu ihrem kollektiven Gedächtnis. Das ist etwas anderes, als Namen auf einer künstlichen Grabplatte zu nennen. Das ist das Gegenteil, nämlich der große Schlußstrich! Interview: Anita Kugler

Julius Schoeps ist Direktor des Moses-Mendelsohn-Zentrums für jüdische Studien in Potsdam sowie Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Wien