"Renate" statt "Brigitte"?

■ Die einzige Comic-Bibliothek Deutschlands liegt in Mitte / Bei Überziehen der Leihfrist: Stiftung eines Comics als Mahngebühr / Kneipen als Sponsoren

Die schwarze Fahne mit einem aufgenähten goldenen „R“ hängt über der Tür. Neben dem Eingang stehen zwei gußeiserne Badewannen, aus denen Pflanzen ranken. „Ich will da rein“, zetert ein kleiner Junge und geht nicht weiter. „Kannst du nicht mal ein richtiges Buch lesen“, meckert seine Mutter und schleift ihn weiter. Die alten Holzrolläden, von denen der braune Lack abspringt, sind hochgezogen und Teelichter im Fenster angezündet – die Comicbibliothek „Renate“ hat ihre Schwingtür geöffnet.

Die Besucher kommen in Scharen: vom jugendlichen Fan, der neues Mickey-Mouse-Futter braucht bis zum Liebhaber auf der Suche nach Splatter-Raritäten. Es hat sich längst rumgesprochen, daß in den Räumen der ehemaligen Fleischerei die einzige Comicbibliothek Deutschlands untergebracht ist. Stöbert man lange genug findet man bei „Renate“ fast alles, was das Licht der Comicwelt erblickt hat, darunter auch die legendären „Digedags“-Hefte des ostdeutschen Mosaik-Verlages. Über 2.500 gebundene Comics und dazu nochmal soviel Hefte gehören zum wundersamen Schatz der im September 1992 gegründeten Bibliothek.

Die zwei kleinen Räume sind bis zur Decke mit Comics zugestapelt, auf ausrangierten Sofas kann man sich fletzen und in Ruhe lesen. „Viele kommen für ein oder zwei Stunden, nur um in den Comics zu blättern“, sagt „Auge“ Lorenz. Der 31jährige Ostberliner ist einer der Initiatoren des Projektes – Auge wird er genannt, „weil mal einer gedacht hat, ich hätte den Durchblick.“ „Comics sind ein wunderbares Medium“, glaubt Auge. 1989 hat er mit Freunden das Comiczeichnerkollektiv „Renate“ gegründet. Zu der Gruppe gehören auch „Bärnd Schmucker“, „CX Huth“ und „Esjottes“. Nach dem Mauerfall hatten sich die Ostberliner begierig auf die Comics im Westen gestürzt. „Aber ich war enttäuscht, wie langweilig die Sachen waren. Irgendwann haben wir schließlich doch Comics gefunden, die uns gefielen. Die wollten wir auch anderen zeigen, und so entstand die Idee, einen Treffpunkt für Comic-Interessierte aufzumachen“, erklärt Auge. Inzwischen kümmert sich nur noch Auge zusammen mit einigen freiwilligen Helfern um die Bibliothek.

Das Ausleihen ist fast umsonst: Für eine monatliche Mitgliedsgebühr von nur drei Mark können unbegrenzt viele Comics mitgenommen werden. Es gibt nur eine Auflage: Wer die Leihfrist von einer Woche überschreitet, muß zur Strafe ein neues Comic stiften. Bei diesen caritativen Bedingungen hat „Renate“ ständig Geldschwierigkeiten. Zu Anfang wurden die Personalkosten und Sachmittel durch ABM-Mittel finanziert. Vor zwei Jahren sind die Verträge jedoch ausgelaufen, seitdem arbeiten die „Renate“-Leute ehrenamtlich. Die Ladenmiete von 850 Mark im Monat könne aber nur bezahlt werden, weil die benachbarten Kneipen regelmäßig Geld zuschießen. „Wir sind auf Spenden angewiesen“, meint Auge.

Der Name „Renate“ ist eigentlich nur ein Scherz: Das gleichnamige, von „Renate“ herausgegebene Comicmagazin sollte in den Zeitschriftenregalen gleich neben den Frauenzeitschriften Brigitte und Petra stehen. So weit hat es das Heft nicht gebracht. Aber immerhin wurden die bislang sieben „Renate“-Ausgaben bis in die Schweiz und nach Frankreich verkauft. Ole Schulz

„Renate“ Comicbibliothek: Tucholskystraße 32; Öffnungszeiten: Montags 14 bis 20 Uhr, Mittwochs 12 bis 19 Uhr, Freitags 14 bis 19 Uhr und Sonntags 16 bis 19 Uhr