Übertünchen, nicht wegschminken

Schminkkurse gegen den Krebs? Das klingt banal. Doch wenn die Haare ausgehen, die Haut austrocknet und die Ringe unter den Augen sich violett färben, wird Krebs – auch – zur psychischen Krankheit. Und wer sich in seiner Haut nicht wohl fühlt, hat weniger Chancen auf Heilung. Eine Reportage über einen Schminkkurs, die etwas andere Therapiesitzung für krebskranke Frauen Von Marianne Mösle

Die Frauen haben ihre Haare wie Hüte zur Seite gelegt, mit kahlem Kopf, spärlichem Haarflaum oder ein paar unregelmäßig auf dem Kopf verteilten Büscheln sitzen sie in der Runde. Strahlen Würde aus, wirken mit ihren klaren Gesichtszügen wie ausmodelliert. In die Spiegel, die vor ihnen auf dem Tisch aufgebaut sind, wagen sie nicht zu schauen. Traurig genug ist es in den eigenen Wänden, in der Öffentlichkeit noch viel mehr. So sieht also „Freude am Leben“ aus, so zumindest nennt sich dieser Schminkkurs in dem Reutlinger Kreiskrankenhaus. Die Kosmetikerin, um die sich die sieben krebskranken Frauen geschart haben, versucht es mit Agitprop. „Lächeln“, sagt Bianca Böhm, „glauben Sie mir das ruhig. Lächeln Sie sich an, wenn Sie das Rouge auftragen. Oder grinsen Sie, wie Sie wollen, nur machen Sie bitte nicht diesen hier“: Dabei verzieht die Kosmetikerin ihren Mund zu einem kleinen O und die Wangen fallen nach innen.

Das hilft, die Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren schmunzeln, kichern, manche lachen. Pinseln vorsichtig den Puder über die Wangen, die nun scheinen wie rosa Kaugummiblasen. „Nur so wirkt das Rouge natürlich und macht die Bewegung von ihrem Gesicht mit.“ Cremes in Fläschchen, Puder in Discs, Mascara in Tuben, Lidschatten in Etuis – das Schminkarsenal, das jede der Frauen vor sich liegen hat, ist beeindruckend. Vieles davon haben sie nie in ihrem Leben benutzt. Sie tuscheln, tauschen Schminkerfahrungen aus. Damals, etwa in den Siebzigerjahren, als frau noch grellrote Lippen malte und mit fetten Eyelinern aus Marokko, Indien oder sonstwoher die Augen nachzuziehen hatte. Oder zu Müslizeiten, als Wimperntusche, Lidschatten und Lippenstift eingemottet wurden. Die Zeiten sind vorbei, die Mode der großen dunklen Kulleraugen fast vergessen, unauffällig wird hier gepudert.

Schminken. Es geht darum, ein Quäntchen besser auszusehen und den einen oder anderen Schönheitsfehler wegzumogeln. Nur, dass die Schönheitsfehler hier graublaue Ringe unter den Augen sind, schorfigtrockene Hautflecken, ausgefallene Augenbrauen oder fehlende Wimpern. Hat die Strahlen- oder Chemotherapie endlich richtig angeschlagen, dann verschwinden auch die Haare – alle Haare. „Innerhalb von drei Tagen“, sagt eine der sieben Frauen. „Vor vierzehn Tagen war ich noch gesund.“

Brigitte G. aus Reutlingen. Damals, vor acht Jahren hat es ihr Frauenarzt gesagt. Dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Brustkrebs habe. Ihr Mann wollte ihr ein Fahrrad kaufen an diesem Tag, und sie hat gemeint, „das brauch ich jetzt nicht mehr“. Dann Operation, Nachbehandlung, Chemotherapie. So schnell, dass sie erst begriff, was es heißt, Krebs zu haben, als die Nebenwirkungen der Medikamente einsetzten. Schmerzen in Beinen und Gelenken, Wassereinlagerungen, Allergien, Herzbeschwerden, Hautveränderungen, Haarausfall. Oft bleibt einem nicht einmal genug Zeit, erzählt eine Frau, die passende Farbe für die Perücke auf Rezept auszusuchen. Die meisten der Frauen sind mit Kopftuch ins Friseurgeschäft gegangen. „In dieser Situation wäre es schon hilfreich, wenn man sich an jemanden wenden könnte“, meint eine Patientin, „wenn man in Gesprächen besser darauf vorbereitet würde.“ Dass etwa mit den Haaren auch das Selbstwertgefühl flöten geht, das man notwendig zur Heilung bräuchte – woher soll man das wissen? Aber auch, dass man zwar krank, aber nicht von heute auf morgen das Leben vorbei ist.

Seit bald einem Jahr unterzieht sich Brigitte G. der zweiten Chemotherapie, kommt einmal in der Woche zur Behandlung, um sich die Infusion abzuholen. Bei dieser Gelegenheit guckt sie dann auch im einen oder anderen Krankenzimmer vorbei, spricht mit frisch operierten Frauen und erzählt, was sie erwartet.

Ein Schminkkurs als Therapie. Zwei Stunden sich mit Äußerlichkeiten beschäftigen, zwei Stunden, in denen es nur um die Oberfläche geht, zwei Stunden, in denen die Frauen erfahren, „dass man sich ein bisschen richten kann“, sagt Brigitte G., „grad in dieser Situation tut so etwas gut.“

Der Kurs ist kostenfrei, ein Projekt der gemeinnützigen Gesellschaft „Aktiv gegen Krebs“. Dieses Jahr haben ehrenamtliche Mitarbeiter von Krankenhäusern, Krebsberatungsstellen und Selbsthilfegruppen bereits fünfhundert Kosmetikseminare bundesweit organisiert. Finanziert werden die Kurse durch Geld- und Sachspenden von Kosmetikfirmen. Die Idee stammt – wie könnte es anders sein – aus den USA, von der Stiftung der Kosmetikindustrie „look good – feel better“.

Die Augen: Sie sind am schwierigsten zu schminken. Sowieso schon. Wenn Augenbrauen und Wimpern fehlen, noch mehr. An welcher Stelle den Augenbrauenstift ansetzen, wenn man nicht mehr weiß, wo sie einmal waren? „Auf dem Jochbein, in der Verlängerung über Nasenwurzel und Augenwinkel müssen Sie den ersten Punkt machen“, erklärt die Kosmetikerin. Gestrichelt sollen die Augenbrauen werden, wie feine Härchen, auf keinen Fall als ganze Linie nachgezogen. „Zuerst hab ich gedacht, wenn die Wimpern auch noch ausgehen, setz ich die Sonnenbrille Tag und Nacht auf.“ Dann hat Brigitte G. den Kajal aus ihrer Jugendzeit wiederentdeckt. „Aus Mauritius“, das sei der Allerweicheste. Mit dem linken Ellenbogen hat sie sich auf den Tisch gestützt, zieht mit den Fingern die Haut unter dem Auge straff. „Also mit dem hier komm ich nicht zurecht, der ist zu hart.“ Reine Trainingssache, meint die Schönheitslehrerin, aber an und für sich klar, ein Eyeliner müsse zerfließen.

Auch der Lidschatten, der ist eine Kunst für sich. Mit zerfurchter Stirn und hochgezogenen Augenbrauen wie Harlekins beugen sich die Frauen über den Spiegel, tragen zuerst Highlighter auf, und dann eine dunkle Farbe, um das Auge zu modellieren. Nicht zu vergessen die Wimperntusche. Aber bitteschön, wenn man gerade keinen Schwimmbadbesuch plant, keine wasserfeste, die bröckelt ab im Laufe des Tages.

Ja, man lebt so und findet seinen Weg“, sagt Brigitte G. Einmal habe sie es ausprobiert, mehr auf sich selbst zu achten – wie es von Ärzten und Bekannten immer so schön heißt. Also hat sie mehr auf sich selbst geachtet und den Sohn nicht mehr bei den Hausaufgaben unterstützt. Als der mit einer schlechten Note nach Hause kam, ging es ihr erst recht nicht gut, seit sie wieder mit ihm büffelt, fühlt sie sich besser.

Zu Selbsthilfegruppen sei sie nie gegangen, erzählt Brigitte G., mit Kranken zusammen sein, das wollte sie nicht. Nicht unbedingt – schließlich ist der Schminkkurs ja auch so etwas wie eine Selbsthilfegruppe. Brigitte G., die schöne Frau mit den feuerroten Haaren, sagt: „Ich glaube, man sollte das Leben genießen, aber so wie es für einen selbst richtig ist.“ Und dass sie krank ist, soll ihr nicht jeder gleich ansehen. Schließlich sei das einfacher, auch für die Anderen. Deshalb „richtet“ sie sich auch immer ein wenig her, bevor sie aus dem Haus geht, schminkt Augen und Lippen, setzt eine Perücke auf, „auch wenn mir nicht immer danach ist“.

Noch die Lippen – dann ziehen die Frauen ihre Perücken wieder auf den Kopf. Prüfende Blicke, manche zufrieden, manche gar beglückt über das neue Gesicht. Ein Foto? „Bitte nicht“, wehren die meisten ab. Krebs lässt sich übertünchen, wegschminken lässt er sich nicht.

Marianne Mösle, 39, arbeitet als freie Autorin in Tübingen, Schwerpunkt Kultur und Gesellschaft

Aktiv gegen Krebs, Köln, Fon (0221) 940 28 11

Deutsche Krebsgesellschaft, Frankfurt am Main, Fon (069) 63 00 96-0