Clinton, Präsident aller Amerikaner

■ Bill Clinton will es allen recht machen – Republikanern, Demokraten, Staatsinterventionisten, Staatsgegnern – und setzt sich zwischen alle Stühle

Washington (taz) – Den meisten Abgeordneten der Demokraten war lediglich mitgeteilt worden, daß „ihr“ Präsident am Abend eine Fernsehansprache halten wolle. Als Bill Clinton dann nach einer für seine Verhältnisse erstaunlich kurzen Rede den Zuschauern „Gute Nacht“ wünschte, da hatten so mancher Demokrat im US-Kongreß das Gefühl, der Präsident habe sich nun endgültig von seiner Partei verabschiedet. Fünf Minuten lang hatte Clinton am Dienstag abend skizziert, wie seine Alternative zur fiskalischen „Revolution“ der Republikaner aussehen soll: Auch er will einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, auch er will zu diesem Zweck rund eine Billion Dollar an Staatsausgaben streichen. Seine Kürzungsvorschläge sind bloß weniger drastisch, und ein bißchen mehr Zeit möchte er sich lassen.

Bill Clinton hatte den Republikanern die politische Initiative aus der Hand nehmen und der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß er nicht nur Politik sozial gestalten, sondern auch noch mit Geld umgehen kann. Das sei ihm gelungen, kommentierte die New York Times. Für die verbitterten Demokraten hatte die Zeitung wenig Mitleid: „Schließlich haben die 1993 und 1994 nicht jene Mehrheit zusammengebracht, die ihm (Clinton) einen erfolgreichen Start verschafft hätten.“ Inzwischen haben die Demokraten im Kongreß keine Mehrheit mehr – und nach Auffassung des Präsidenten repräsentieren seine Parteigenossen im Parlament auch nicht jene Zielgruppen in der Bevölkerung, die er für einen zweiten Wahlerfolg im nächsten Jahr braucht: Jene wachsende Zahl von Wählern in den USA, die sich als „parteiunabhängig“ bezeichnen und 1992 dank der Kampagne Ross Perots das Thema „Haushaltsdefizit“ im Wahlkampf in den Vordergrund rückten.

Doch letztlich hat Clinton jetzt dem Umstand Rechnung getragen, daß die Republikaner derzeit die politische Debatte in allen Themenbereichen beherrschen und die Tagesordnung bestimmen. Dieses Bewußtsein tragen ihre Abgeordneten nun mit Genuß zur Schau, indem sie Clinton und seinen Haushaltsplan mit herablassendem Wohlwollen kommentieren – wie einen Ersatzspieler aus dem eigenen Team, der die erste Halbzeit verschlafen hat. „Der Vorschlag des Präsidenten ist im Prinzip die Zustimmung zu dem, worüber wir schon lange reden“, erklärte John Kasich, der im Repräsentantenhaus für den republikanischen Kürzungsplan verantwortlich zeichnet.

Auf der anderen Seite macht vielen Demokraten nicht nur zu schaffen, daß ihr Präsident immer häufiger die Nähe zur konservativen Mehrheit im Parlament sucht. Sie leiden vielmehr auch unter Clintons Mutationsfähigkeit, die er in der Vergangenheit nicht nur in der Frage der Diskriminierung von Homosexuellen im Militär, der Immigrationspolitik oder der US-Position im Bosnienkonflikt, sondern auch in der Haushaltspolitik demonstriert hat: Aus dem Kandidaten Clinton, der den Bundesstaat zu einem zentralen Instrument seiner Wirtschaftspolitik machen wollte, wurde ein Präsident Clinton, der die Defizitbekämpfung zur obersten Priorität erklärte. Das Wahlversprechen an die Mittelschicht, die Steuern zu senken, verwarf er in der ersten Hälfte seiner Amtszeit, nur um es nach demokratischen Niederlage bei den letzten Kongreßwahlen wiederaufzuwärmen. Sein letzter Haushaltsplan, gerade vier Monate alt, sah noch ein Defizit von jährlich 200 Milliarden Dollar vor – nun wiederum hat er sich der republikanischen Prämisse des ausgeglichenen Haushalts unterworfen. David Obey, links-demokratischer Abgeordneter aus Wisconsin, gibt sich deshalb fatalistisch gelassen: Was Clinton gesagt hatte, ging ihm zwar völlig gegen den Strich – „doch die meisten von uns haben inzwischen eines begriffen: Wenn einem die Position des Präsidenten in irgendeiner Frage nicht paßt, dann wartet man halt ein paar Wochen.“ Andrea Böhm