Goldene Leitungen in China

Auf dem größten Wachstumsmarkt im Telekommunikationsbereich fürchten Parteifunktionäre um ihre Überwachungsmöglichkeiten  ■ Aus Peking Sheila Tefft

Wang Hong fühlt sich erst dann richtig angezogen, wenn er sein mobiles Telefon in der Hand hält und der Pieper an seinem Gürtel hängt. „Ich könnte noch nicht einmal daran denken, meine Geschäfte ohne das zu führen“, sagt der Diskothekenmanager und schwenkt einen kompakten Telefonempfänger,der auf dem neusten Stand ist. „Das gehört mittlerweile einfach zum Geschäftsalltag.“ Herr Wang ist einer der telefonbesessenen Chinesen, die das Land in den heißesten Telekommunikationsmarkt der Welt verwandeln. Die Anschlußdichte von derzeit zwei Telefonen je hundert Einwohner will die Regierung bis zum Jahr 2000 auf zehn Anschlüsse steigern – ein Unternehmen, das vermutlich hunderte Milliarden Dollar kosten und finanzielle und technische Hilfe aus Übersee erforderlich macht. Allein in diesem Jahr wollen die Behörden der China Daily zufolge fast 10 Milliarden US-Dollar in die Telekommunikation stecken, das Netz der Überlandleitungen verdoppeln und die Zahl der Pieper um 60 Prozent auf zwölf Millionen erhöhen.

Aber obwohl die USA auf einen offeneren Markt drängen und westliche Firmen nach einem größeren Anteil am Kuchen gieren, darf nur eine Handvoll westlicher Firmen die notwendige Ausrüstung liefern und herstellen. Telefonnetze besitzen oder betreiben dürfen sie nicht. Das schwerfällige Ministerium für Post und Telekommunikation wacht weiterhin über seine Domäne, obwohl hohe chinesische Führer im letzten Juni das absolute Monopol des Ministeriums offiziell aufbrachen und es anwiesen, seine Dienstleistungen zu kommerzialisieren.

Im Vertrauen auf die Neigung der Regierung zur Geheimhaltung warnen die Telekommunikations- Funktionäre, man dürfe Ausländern nicht den Verkauf von Telefondiensten gestatten, um die offizielle Kontrolle nicht weiter zu lockern und die nationale Sicherheit zu gefährden. Dennoch sagen westliche Manager voraus, es sei nur eine Frage der Zeit, bis dieser Engpaß überwunden sei. Da Chinas technologischer Bedarf zunimmt, werden Pläne für eine Informationsautobahn vorbereitet; staatliche Institutionen drängen darauf, den boomenden Markt für Telefondienste durchlässiger zu machen. Anführer des neuen Trends sind zwei neue Telefonnetze, die im letzten Jahr unter Leitung des Wirtschaftsreformers Hu Quilides und unter Federführung des Ministeriums für Elektronische Industrie eingerichtet wurden. Hu ist ein enger Verbündeter des ehemaligen Parteichefs Zhao Ziyang, der 1989 nach der Niederschlagung politischer Proteste durch die Armee abgesetzt wurde.

Jitong Communications, das erste alternative öffentliche Netz, das unter der Verantwortung der Volksbefreiungsarmee initiiert wurde, erhielt den lohnenden Auftrag, Chinas Informationsautobahn zu entwickeln. Die erste Phase des Projekts namens „Goldene Brücke“ wird Hochgeschwindigkeitssatelliten und Glasfaserverbindungen für Daten, Stimme und Video zwischen den Ministerien, staatlichen Organisationen und Unternehmen einrichten.

Datenübertragung und E-Mail- Dienste sollen bis Ende 1995 in zwei Dutzend Städten installiert sein. Zwei weitere goldene Projekte sollen folgen: „Goldener Zoll“ wird Chinas Zollnetz auf den neuesten Stand bringen. Und die von der Chinesischen Volksbank geplante „Goldene Karte“ soll bis zum Jahr 2000 acht Millionen Kreditkarten für chinesische Kontenbesitzer ausgeben. Jitong hat sich bereits mit IBM zum gemeinsamen Betrieb einer Forschungs- und Entwicklungsfirma zusammengeschlossen, und mit den Hughes Network Systems in den USA zur Modernisierung des Zollwesens. Die Firma will im nächsten Vierteljahrhundert 150 Milliarden US- Dollar für den Bau des Informationsnetzes ausgeben. Die wichtigsten Bewerber sind amerikanische, französische und deutsche Firmen.

Das zweite Netz, Liantong Communications, wurde im letzten Juli in den Städten Peking, Schanghai und Tianjin eingerichtet. Es wird getragen von 26 staatlichen Institutionen, einschließlich den Ministerien für Elektronik, Energie und Eisenbahnen. Die Firma, die gemeinsam mit GTE- Corp. Forschung und Entwicklung betreibt, wird zunächst in diesen schlecht versorgten Städten Netze und drahtlose Telefondienste anbieten. Sie hofft, in fünf Jahren zehn Prozent von Chinas Ferngesprächen und 30 Prozent des mobilen Telefonverkehrs abzuwickeln.

Angesichts der Regierungspläne, in den nächsten zehn Jahren jährlich bis zu 20 Millionen neue Telefonanschlüsse einzurichten und sieben Milliarden US-Dollar ausländisches Kapital anzuziehen, sind ausländische Firmen zur Expansion nach China angetreten. Die britisch finanzierte Hong Kong Telecommunications Ltd. und die amerikanische Firma Bellsouth Corp. haben einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, um ein Glasfaserprojekt und ein mobiles Telekommunikationssystem für Peking zu entwickeln. Der US-Telekommunikationsriese Motorola expandiert in der Pieper-Produktion, wo inzwischen sechs Millionen Vorbestellungen vorliegen. Die schwedische Telekommunikationsfirma Ericsson, Chinas größter Lieferant an Ausrüstung für Mobiltelefone, sieht das Land als seinen wichtigsten Markt, da die Bestellungen für Telefonzellenapparate auf 700.000 gestiegen sind – viermal soviel wie 1991.

Im letzten Herbst erhielten ausländische Investoren erstmals die Möglichkeit, Anteile an einer chinesischen Telekommunikationsfirma zu erwerben, als die Shanghai Posts & Telecommunications Company, ein Produzent von Ausrüstung, Kabeln und Telex- Geräten in Zusammenarbeit mit AT & T, an der Schanghaier Börse eingeführt wurde. Das Kommunikationsministerium nimmt allerdings die Aktivitäten auf seiner Domäne nicht tatenlos hin. Noch immer spielen Ministeriumsfunktionäre eine entscheidende Rolle, weil sie die Gebühren und Bedingungen für die Verbindung mit dem Netz des Ministeriums festlegen. Eine weitere Gefahr liegt in Konflikten zwischen regionalen Behörden, die den Aufbau eines nationalen Systems beeinträchtigen könnten, warnen chinesische Fachleute. Ebenso besorgniserregend ist für sie der Mangel an Kommunikation zwischen Regierungsbehörden und Industrie – einem Zustand, den Economic Information Daily als „Informations- Isolationismus“ bezeichnete.