Ökofeministische Spiritualität gesucht

Der 26. Evangelische Kirchentag in Hamburg: Neben Bibelkreisen eine Kontroverse um Militäreinsätze in Bosnien / Engagement für den Schutz von Natur und Umwelt gefordert  ■ Aus Hamburg Beag Wap

Für die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen hat der Gottesdienstplatz „symbolische Bedeutung“. Das sagt sie vor 20.000 Menschen zur Eröffnung des 26. Evangelischen Kirchentages und meint damit den festlich geschmückten Rathausmarkt. Deutschlands einzige Bischöfin: „Wir mischen uns ein, öffentlich, direkt unter dem Himmel versammelt, aufrecht stehend, keine dicken Mauern trennen uns vom alltäglichen Leben.“ Daß, wenn nicht gerade Kirchentag ist, die Amtskirche eine ganze Menge vom richtigen Leben trennt, ist allerdings ein zentrales Thema bei dieser Riesenveranstaltung evangelischer Laienchristen – 150.000 Dauerbesucher, meist am Rucksack zu erkennen, verstopfen die Stadt, Busse und Bahn, auch Fahrradwege und Veranstaltungsorte. Mit Vortragsveranstaltungen und in Arbeitsgruppen versucht man, den Kontakt zur Realität zu finden.

Die Hamburger Theologieprofessorin Dorothee Sölle etwa sagt, für das Überleben der Schöpfung sei eine „ökofeministische Spiritualität“ unabdingbar. Diese Spiritualität wende sich gegen einen „totalitär“ gewordenen Individualismus, der ein Krankheitssyndrom der heutigen Gesellschaft sei. Wer nur gelernt habe, „ich“ zu sagen, sei in einer bevorstehenden ökologischen Katastrophe hilflos. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer beklagt in einer Bibelarbeit eine weltweit dramatische Wasserverschmutzung. Die Nordsee sei zur Kloake geworden, „für das, was wir Leben, Wirtschaft und Reichtum nennen“, sagte Vollmer. Die Ozeane würden leergefischt und vollgepumpt mit den „Fäkalien der Zivilisation“, „mit Pestiziden, Fungiziden, Ölteppichen und Bohrtürmen“. Gott in der Natur erleben zu können sei in einer Zeit der Verstädterung zu einem Privileg geworden. Darunter hätten besonders die Kinder zu leiden, sagt Vollmer in der bis auf den letzten Platz gefüllten Messehalle.

Sie spricht sich dafür aus, menschliche Kreativität einzusetzen, um die „Harmonie der Welt“ zu erhalten. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung ruft auch der Stuttgarter Theologe Jörg Zink auf: Die „Überschätzung des Menschen“ als Mittelpunkt der Welt müsse überwunden werden. Auch die Christen betrachteten die Natur bislang als Eigentum und überzögen sie mit „Gift und Abfall“. Zugunsten von Wohlstand, wissenschaftlichem Fortschritt und der Befriedigung eigener Bedürfnisse verkauften sie immer wieder „ein Stück Schöpfung“. Diese „Ausbeutergesinnung“ drücke sich auch in der Haltung der Kirche zu Tierversuchen aus.

In bezug auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien hatte Kirchentagspräsident Ernst Benda von einem „furchtbaren Dilemma“ gesprochen – man müsse hilflos dem Morden zuschauen. Vorsichtig, aber deutlich wiederholt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes dann aber seine „Privatmeinung“: daß die Argumentation, wir Deutschen sollten uns nicht engagieren, nicht ausreiche. Man müsse das Mögliche tun, um das Morden zu beenden. Diese und andere Interviewäußerungen Bendas rufen den Protest der Kooperation für eine BRD ohne Armee hervor. Man erklärt den „Benda-Notstand“ und wirft dem Kirchentagspräsidenten vor, in der Konsequenz wieder beim Waffen-Segnen zu landen.

Besonderes Interesse der Kirchentagsbesucher findet der „Markt der Möglichkeiten“ in den Messehallen. Von der „African Christian Church“ in Hamburg bis zu „Wenig Knete – trotzdem reisen“, einem Projekt der Lutherkirche München, präsentieren sich hier kirchliche Basisgruppen. Zu Beginn des Kirchentages, beim „Abend der Begegnung“ protestieren zahlreiche Besucher gegen die Versenkung der Ölbohrinsel Berent Spar des Mineralölkonzerns Shell. Sie beteiligten sich an einer Aktion von Greenpeace, das am Veranstaltungsort, an den Landungsbrücken in St. Pauli, einen acht Meter hohen Öl(protest)pott aufgestellt hat.