Avantgarde mit Werbeeffekt

Am Anfang war nicht der Bau, sondern die Kunst der Gestaltung: Unter dem Titel „Punkt Linie Fläche“ werden im Bauhaus-Archiv grafische Arbeiten aus der Druckwerkstatt des Bauhauses gezeigt  ■   Von Michael Nungesser

Eine Druckwerkstatt passt nicht zum Bauhaus. Schließlich hieß es schon im Gründungsmanifest von 1919: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau.“ Doch ausgerechnet die von Walter Gropius gegründete Schule in Weimar verfügte anfangs über keine Architekturklasse. Die ersten Meister waren neben dem Bildhauer Gerhard Marcks allesamt Maler – wie Lyonel Feininger, Johannes Itten, Wassili Kandinsky, Paul Klee, Lászlo Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer oder Lothar Schreyer.

Das Deckblatt des genannten Manifests zierte Feiningers von Lichtstrahlen feierlich umrahmte „Kathedrale“. Es ist ein Holzschnitt. Druckgrafik diente demnach als Werbe- und Informationsmittel. Außerdem bot die von Feininger geleitete „Lehrwerkstatt“ eine enge Verbindung zum Handwerk – ein Leitmotiv des frühen Bauhauses.

Zu den herausragenden Werken der ersten Jahre gehören die Mappenwerke. Die wichtigste, die fünfteilige „Neue Europäische Graphik“, besteht unter anderem aus Werken von Beckmann, Boccioni, Chagall, de Chirico, Grosz, Léger, Marc und Schwitters. Man wollte zeigen, „wie die Künstlergeneration unserer Zeit an den Gedanken des Bauhauses teilnimmt und durch Hergabe eigener Werke Opfer bringt“. Auch die Bauhaus-Lehrer nutzten die Druckwerkstatt zur Verbreitung ihrer Arbeit: Die „Meistermappe“ von 1923 zeigt ihre gänzlich verschiedenen ästhetischen Konzepte, die nur der Name Bauhaus einte. Von figürlich-expressiv bis phantastisch-abstrakt oder konstruktiv-gegenstandslos, das ganze Formenarsenal der Avantgarde war vertreten, als Radierung, Holzschnitt oder Lithografie. Hinzu kommen Mappen einzelner Künstler: Feiningers „Zwölf Holzschnitte“, „Kleine Welten“ von Kandinsky, „Wielandslied der älteren Edda“ von Marcks und Schlemmers „Spiel mit Köpfen“. Eine Besonderheit bilden Moholy-Nagys „Konstruktionen“, die das Bauhaus-Archiv erst kürzlich von der Kestner-Gesellschaft erwerben konnte.

Auch bei den Arbeiten von Bauhaus-Schülern ist die künstlerische Spannbreite erstaunlich – gerade in ihrer Unabhängigkeit von den Handschriften der Lehrer. Hier stehen eher unbekannte Namen wie die des Keramikers Theodor Bogler oder des Silberschmieds Carl Jakob Jucker neben Designern wie Herbert Bayer oder Marcel Breuer, dem Maler Werner Gillees und Max Pfeiffer Watenphul oder dem späteren Fotografen Umbo. Der Institution entsprechend stehen viele der grafischen Arbeiten im Gebrauchszusammenhang: Illustrationen für Zeitschriften, Flugblätter und Einladungskarten, Gestaltung von Prospektblättern (zum Beispiel für ein neues Schachspiel) oder Gemäldereproduktionen.

Die Ausstellung ist in vier Teile gegliedert: Mappenwerke europäischer Künstler, Arbeiten der Bauhaus-Meister und -Schüler sowie Druckwerke zwischen freier und angewandter Grafik. Durch die allzu intensive Farbgebung der Wände werden die Bereiche ein wenig übertrieben voneinander getrennt. Fast ohne Leihgaben sind rund 300 Blätter zu sehen – sicherlich die besten und wichtigsten Arbeiten der Bauhäusler.

Die Ausstellung erinnert damit auf besondere Weise an die Gründung des Bauhauses vor 80 Jahren und sie wird nur in Berlin zu sehen sein. Das parallel erschienene Katalog-Handbuch zur Druckgrafik bildet dabei einen weiteren Baustein zur gründlichen Aufarbeitung der Geschichte eines Lehrinstituts, das die Kunst des 20. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmt hat.

Bis 27. 2. 2000, Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung, Klingelhöferstraße 114, Mittwoch bis Montag 10–17 Uhr. Katalog 49 DM