Wasserschleppen in der Wüste

■ Die Berliner Performancegruppe Moving M3 über ihren vierwöchigen Arbeitsaufenthalt in der marokkanischen Wüste und ihr daraus entstandenes Projekt "Marha", das heute im Tacheles Premiere hat

Seit dem Wegzug des RA.M.M ist Moving M3 die einzige Performancegruppe Berlins, die kontinuierlich von sich hören läßt. 13 Eigenproduktionen in Kirchen, Fabrikhallen und Ruinen führte die Truppe seit 1990 auf, seit drei Jahren mit Unterstützung aus dem Senatstopf. In ihrem neuesten Stück „MÛrhÛ“ verarbeiten sie einen vierwöchigen Arbeitsaufenthalt in der marokkanischen Wüste. Im taz-Interview: Gruppengründerin Astrid Völker, Bühnenbildner Jürgen Kirner und der Musiker Mal.

taz: Ihr habt euer Konzept vom körper- und raumbezogenen Theater auf das landschaftsbezogene Theater ausgeweitet. Wie funktioniert die Wüste in einer Ruine wie dem Tacheles?

Kirner: Es geht um eine Übertragung der Wahrnehmung. Wir wollen hier nichts imitieren, ich baue keine Sanddünen nach. Ich suche nach einer ähnlichen Sinnlichkeit. Das wird nicht die großartige Illusionsmaschine. Die Wüste trimmt einen, Feinheiten zu sehen.

Mal: Ich versuche mit der Musik, die Klangwelt der Wüste mit Aufnahmen von dort in den Raum zu holen: Windgeräusche, surrende Fliegen, Geräusche aus den angrenzenden Oasen. Die werden parallel zur Live-Musik mit Gitarre eingesetzt.

Mit welchen Zielen seid ihr nach Marokko gegangen?

Kirner: Unser Grundgedanke war Landschaft und Bewegung. Das wollten wir einpacken und mitnehmen.

Völker: Wir wollten den Raum Wüste wahrnehmen, uns der Natur ganz stark aussetzen. In Zelten, ohne großen Luxus, mit täglichem Wasserschleppen von der Oase bis zum eine halbe Stunde entfernten Lager. Wir wollten uns zwar nicht von der Kultur dort isolieren, hatten aber im Kopf, dort Theaterarbeit zu machen. Und das ging nicht.

Warum nicht?

Völker: Wir konnten unseren Arbeitsplatz nicht selbstverständlich behaupten. Das Gesetz der Gastfreundschaft schreibt vor, einen Besucher zu empfangen, wann immer er vorbeikommt, auch mitten in den Proben. Wir hatten ständig Besuch von Nomaden und Oasenbewohnern. Bis auf die Mittagszeit war man auf diese Weise immer sehr beschäftigt. So sind wir zwangsläufig von der Vorstellung weggekommen, reine Naturerlebnisse umzusetzen, statt dessen lernten wir die Menschen kennen und waren eingebunden.

Das klingt nach Selbsterfahrungstourismus großstadtmüder Theaterfreaks. Ist die Gefahr nicht ziemlich groß, daß die Ergebnisse einer solchen Expedition eine Mischung aus Folklore und allzu großer Ehrfurcht vor einer fremden Kultur werden?

Völker: Das hat uns vor allem kurz nach der Rückkehr sehr beschäftigt. Aber die Erfahrung aus unserer bisherigen Arbeit – also sich in ungewöhnlichen Räumen niederzulassen und die Atmosphäre des Ortes aufzunehmen – hat uns sehr geholfen herauszukristallisieren, was uns verwirrt und beschäftigt hat. Stellenweise hat uns diese Kultur ja auch vollkommen überfordert.

Sieht man diese Überforderung im Stück?

Völker: Die Irritationen, die wir erfahren haben, die unbeantworteten Fragen wollen wir weitergeben. Das ist die Legitimation für diese Art von Arbeit. Hier in Berlin können die Leute natürlich Bücher über diese Kultur lesen. Wir versuchen, sie auf der sinnlichen Ebene erfahrbar zu machen, auch mit ihrer Rätselhaftigkeit. Wir möchten die Leute das nacherleben lassen, anstatt sie mit Antworten zu füttern.

Wie habt ihr eure Erlebnisse theatralisch umgesetzt?

Völker: Das schwierigste war, eine gemeinsame Linie zu finden. Wir haben uns auf zwei Motive konzentriert. Das sind zum einen Bewegungsformen, die aus der Arbeit in der Natur entstanden sind, wie Wind, Sandsturm, Sonne. Der zweite Strang ist der Bezug zu den Menschen dort. Und der hat sich nochmals auf die Frauenbilder konzentriert.

La Fura Dels Baus machen mittlerweile High-Tech-Spektakel für Techno-Kids, RA.M.M. hat sich ins Grüne zurückgezogen. Ist die körperbezogene Großstadt- Performance in einer Sackgasse?

Völker: Wir haben unser raumbezogenes Konzept mit dem neuen Stück ja ausgeweitet. Was den Körperaspekt betrifft, stellt sich für mich keine Krisenfrage. Im Gegenteil: Sobald man mit Sprache arbeitet, wird der ganze intellektuelle Komplex angeschaltet, und das finde ich wesentlich schwieriger in unserer Zeit. Die Leute über den Körper zu berühren oder vielleicht auch zu attackieren, das ist schon die richtige Ästhetik.

Moving M3 hat sich für diese Produktion zu großen Teilen neu formiert. Gab es im Vorfeld konzeptionellen Krach?

Völker: Nein. Die starke Fluktuation ist ein Berliner Phänomen. Ob wir wollen oder nicht, da sind wir der Stadt ausgeliefert. Interview: Gerd Hartmann

„MÛrhÛ – ein Wüstenfundstück“. Heute bis 25. 6. Tacheles, 13. bis 23. 7. Theater am Halleschen Ufer, 3. bis 13. 8. St.-Elisabeth-Kirche (Invaliden- Höhe Ackerstraße), jeweils 21 Uhr