„Wo ihre Frauen gerne einkaufen“

Sehr wahrscheinlich wird sich die IOC-Vollversammlung in Budapest heute für das beste Geschäft und also für Salt Lake City als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2002 entscheiden  ■ Aus Budapest Jens Weinreich

Das mußte einfach schiefgehen. Kaum hat Werner Günthör, der dreifache Weltmeister, den Kugelstoßring unbeaufsichtigt verlassen, ist er bös ausgerutscht. Im Schwimmbad ist Kugel-Werni, Symbol Schweizer Manneskraft, am Mittwoch wuchtig auf die Kacheln geknallt. Bein verletzt, abtransportiert ins Spital, Reise nach Budapest storniert. Die Olympiabewerber aus Sion müssen, wenn das IOC heute nachmittag in der „Patria-Hall“ des Budapester Kongreß-Zentrums die Olympischen Winterspiele des Jahres 2002 vergibt, auf die Dienste des Muskelprotzes verzichten.

Zwei Haken hat das Unternehmen Sion ohnehin: Das öffentliche Interesse an dieser Bewerbung ist eher mäßig zu nennen. Die amtliche Zustimmungsrate liegt bei 61 Prozent, doch spätestens seit der Berliner Bewerbung weiß man, wie solche Zahlen entstehen. Und was die 95 IOC-Mitglieder vermutlich eher interessiert: Die Bob- Bahn von St. Moritz liegt allzu beschwerliche sechs Stunden vom geplanten Olympia-Zentrum, entfernt. Um solche Nachteile zu kompensieren, haben die Schweizer das größte Menschenaufgebot an die Donau kutschiert. Zu den 60 akkreditierten Mitarbeitern des Bewerberkomitees gesellen sich 40 sogenannte „special guests“, vulgo: Sponsoren und Funktionäre, und etwa 800 kuhglockenschwingende Fans werden bis heute auch noch erwartet. Vortrefflich ist auch das Aufgebot an sportiver Staffage: Es treten auf die alpinen Olympiasieger Vreni Schneider und Pirmin Zurbriggen, dazu Chantal Bournissen und die pirouettendrehende Eiskunstläuferin Denise Bielmann. Nur Kugel-Werni fehlt. Der liegt mit einer Fleischwunde im Bett.

Doch auch mit Günthör, ist zu vermuten, hätte Sion - genausowenig wie die Mitbewerber Östersund (Schweden) und Quebec (Kanada) - gegen die favorisierte Mormonen-Metropole keine Chance. Seit drei Jahrzehnten bewirbt sich Salt Lake City um die Winterspiele. Dem aversierten olympischen Freudenfest stehen allenfalls die Alkoholdirektiven der Mormonen im Weg. Doch die IOC-Mitglieder müssen sich nicht allzu sehr besorgen: „Wer bei uns einen Drink haben will, der bekommt ihn auch“, hat Mike Korologos vom Bewerberkomitee versprochen. In einem von der Prüfungskommission des IOC aufgestellten Bewerbungskatalog erhielt Salt Lake City ohnehin Bestnoten in fast allen Bereichen. Auf der Grundlage dieses Papiers hatte die IOC-Exekutive schon im Januar die letzten vier Bewerber auserkoren und fünf andere Interessenten (Sotschi/Rußland, Jaca/ Spanien, Graz/Österreich, Tarvisio/Italien und Poprad/Slowakei) eliminiert.

Nun also die Final Four: Alle locken sie nicht allein mit Schnee. Östersund hofft auf die ersten Olympischen Winterspiele im echten Wintersportland Schweden überhaupt und auf den Lillehammer-Effekt. Selbstredend setzt auch Sion auf Tradition, Quebec wiederum will mit mehreren Millionen Kubikmetern Erde einen künstlichen Berg für die olympische Abfahrt zum Ufer des St. Lorenz-Stroms wachsen lassen, und in der Umgebung des Salzsees stehen schon fast alle Wettkampfstätten bereit. Natürlich garantierte Salt Lake City dank der großen US-Fernsehstationen dem IOC wie gehabt auch das meiste Geld. Und der Kontostand interessiert im IOC schon lange mehr als sportliche Tradition. Zudem sind bei den meisten der noch 95 angejahrten Olympier (in der Nacht zum Donnerstag starb mit dem Belgrader Slobodan Filipovic, 55, ausgerechnet eines der jüngeren Mitglieder) – bei Männern von den Fidschi-Inseln, aus Togo, Senegal oder dem Swasiland - Erfahrungen in Schnee und Eis naturgemäß wenig ausgeprägt.

Oder die Herren sind mit anderen, ihren sehr persönlichen Problemen hauptbeschäftigt. So hat der deutsche NOK-Präsident Walther Tröger nach langem Hin und Her sich nun entschlossen, doch nicht erneut für einen Sitz im elfköpfigen Exekutivkomitee zu kandidieren, nachdem er bereits einmal durchgefallen war. Dem anderen deutschen IOC-Mitglied, dem Tauberbischofsheimer Juristen Thomas Bach (41), hat er das vorher nicht verraten. „Vielleicht“, sagt Tröger, „war es mein Fehler, vielleicht auch falsches Timing“. Vielleicht auch nur Taktik, um eine eigene Kandidatur des Jüngeren zu verhindern, der in diesen Tagen erneut als smart-jovialer Samaranch-Günstling Punkte sammeln darf.

„Schrecklich wenig Ahnung und Interesse an den Winterspielen“ hat jedenfalls der Kanadier Richard Pound, meistgenannter Kandidat für die Samaranch- Nachfolge, so es denn eines Tages eine geben sollte, „40 bis 50 Prozent“ seiner olympischen Kollegen attestiert. Ihr Stimmverhalten, vermutet Pound, in der New York Times, würde deshalb wohl eher davon abhängen, wo „ihre Frauen gern einkaufen gehen“.