■ Die Bundesregierung könnte umverteilen, wenn sie nur wollte
: Zukunft braucht mehr Mut

Soziale Gerechtigkeit soll Hauptthema des SPD-Parteitags sein, Motto „Zukunft braucht Mut“. Nur: Der von Gerhard Schröder geprägte Leitantrag enthält allenfalls vage Absichtserklärungen. Dabei wäre mehr Raum zum Umverteilen vorhanden. Das lässt sich anschaulich zeigen, wenn man den neuesten Jahresbericht der OECD zu den Steuereinnahmen seiner Mitgliedsländer studiert. Aus den Statistiken von 29 Staaten werden darin Steuereinkünfte in Relation zum Sozialprodukt berechnet. Hiermit lassen sich Staaten unterschiedlicher Größe und verschiedener Wohlstandsniveaus einfach miteinander vergleichen. Besonders interessant für Umverteilungsspielräume sind dabei die Steuern auf Vermögen und Unternehmensgewinne. Unter der Kategorie Steuern auf Vermögen fasst die OECD klassische Vermögensteuern mit Grund- und Erbschaftsteuern zusammen. Sie teilen alle die Eigenschaft, dass sie unabhängig von Erträgen fällig werden.

1997 hatte Deutschland bei dieser Größe einen Anteil von nur 1,0 Prozent am Sozialprodukt, die OECD im Schnitt aber von 1,9 Prozent. Der Unterschied hört sich gering an, aber er bedeutet: Jährlich sind Deutschlands Staatskassen 33 Milliarden Mark Einnahmen entgangen. Und das ist nur die Differenz zum Durchschnitt. Nimmt man stattdessen große EU-Länder als Orientierungsmaß, zeigt sich: Italien, Frankreich oder Großbritannien liegen deutlich über dem Durchschnitt.

Natürlich ist die Wiedereinführung einer Vermögensteuer in Deutschland eine schwierige Angelegenheit, da sie im Bundesrat zustimmungspflichtig ist – und einer Vermögensabgabe sind verfassungsrechtlich enge Grenzen gesetzt. Allerdings wäre eine stärkere Anhebung der Erbschaftsteuer leicht möglich. Diese Möglichkeit sollte die Regierung nutzen. Die Eliminierung ungerechtfertigter Chancenvorteile ist klassisches liberales Gedankengut, das einer rot-grünen Koalition wohl anstünde. Mit etwas Fantasie lässt sich auch das Problem lösen, wie kleinere Unternehmen von den Erben familiär weitergeführt werden können. Dazu sollten die Erbschaftsteuern nicht sofort fällig sein, sondern müssten als stille Beteiligung des Staates eingetragen und nach und nach aus den Erträgen abgelöst werden.

Die für Umverteilungsfragen andere zentrale Kategorie umfasst die Steuern auf Gewinne von Kapitalgesellschaften. Das ist eine zu Unrecht häufig heruntergespielte Größe. Viele Industrieverbände – aber auch einige so genannte grüne Finanzexperten – wollen uns weis machen, dass hierbei internationale Vergleiche in die falsche Richtung führen. Diese bezögen sich nur auf Kapitalgesellschaften, wo doch neun Zehntel der Unternehmen in Deutschland Personengesellschaften seien. Schon richtig beobachtet – und doch ganz falsch argumentiert. Denn eine solche Sichtweise setzt kleine Handwerksbetriebe mit Kolossen wie DaimlerChrysler in ein Eins-zu-eins-Verhältnis. Für eine wirtschaftspolitische Betrachtung ist aber nicht die Anzahl der jeweiligen Unternehmen von Bedeutung, sondern ihr relatives Gewicht. Und da gilt für Deutschland, dass die sicher recht übersichtliche Gruppe der Kapitalgesellschaften knapp 60 Prozent des Umsatzes aller Unternehmen bestreitet, ein Anteil mit weiter steigender Tendenz.

Wer auf Umverteilung nicht verzichten will, darf jedoch die Steuern auf den Gewinn nicht tabuisieren. Diese Kategorie umfasst für Deutschland vor allem die Körperschaftssteuer und die Gewerbesteuer. Mit 1,5 Prozent Anteil am Sozialprodukt liegt die Bundesrepublik 1997 hier weit unterhalb des OECD-Durchschnitts von 3,3 Prozent. Zum vierten Mal in Folge haben wir damit nach Island den niedrigsten Wert bei dieser Steuerkategorie aufzuweisen, obwohl die volkswirtschaftliche Gewinnrechnung des Statistischen Bundesamtes steigende Einkommen der Unternehmen registriert. Das heißt im Vergleich zum Länderdurchschnitt: Jährlich könnte der Staat 66 Milliarden Mark mehr einnehmen. Und was tut die rot-grüne Koalition? Statt ein solches von der Kohl-Regierung übernommenes Steuerdumping zu korrigieren und Freiraum für andere politische Projekte zu eröffnen, kündigt sie weitere Entlastungen für die Unternehmen an. Zukunft braucht mehr Mut. Gerd Grözinger

Volkswirt und Soziologe an der Universität Flensburg