Rumpftruppe, schwindlig gespielt

Nach dem glücksbeladenen 2:1 gegen Dynamo Kiew bleibt den Münchner Bayern nur die Hoffnung auf schnelle Genesung der Kreativabteilung    ■ Aus München Thomas Becker

Dass die Welt schlecht ist, hundsgemein und ungerecht dazu, das weiß man – in der Ukraine erst recht. Kein Wunder also, dass die Kicker von Dynamo Kiew nach dem 1:2 bei den Münchner Bayern die Sache mit Fassung trugen, obwohl sie Fußball gespielt hatten und nicht die anderen. Kurz angebunden war denn auch Co-Trainer Alexej Michailitschenko, den der medienscheue Chefcoach Valery Lobanovsky immer zum Rapport vor die Presse schickt. Diesmal wartete er erst gar nicht auf den Kollegen Hitzfeld, sagte schnell ein paar Worte („Wir haben schlimme Fehler gemacht, auch der Torwart.“), schüttelte FCB-Pressesprecher Markus Hörwick die Hand und entschwand.

Das vorweihnachtliche Stimmung hatten sich die Dynamos selbst verdorben. Selten war eine Gast-Mannschaft im Olympiastadion so überlegen, dummerweise vergaß sie nur das Toreschießen. Oli Kahn, der das schnelle Kombinationsspiel der Ukrainer ständig auf sich zu wirbeln sah, gab heldenhaft seine Bedenken zu. „Da kann einem schon schwindelig werden, wenn sie ihr Kurzpassspiel aufziehen.“ Richtig ins Schwärmen geriet der sonst so spröde Nationalkeeper, als er die Spielkultur der Gäste beschrieb: Das attraktivste, was es gibt. Die spielen immer 5 gegen 2, übers ganze Feld.“ Das einzige Manko beim ukrainischen Rekordmeister hatte er schnell ausgemacht: „Ihnen fehlt genau der Mann, den sie abgegeben haben.“ Gemeint ist Andrej Shevchenko, für 40 Millionen Mark zu Milan gewechselt.

Gegen das ersatzgeschwächte Bayern-Team (ohne sechs) blieb es für Kiew beim einzigen Erfolgserlebnis von Rebrov in der 50.Minute. Mit einer „Rumpftruppe gegen eine Weltklasse-Mannschaft“ habe man bestehen müssen, meinte Kahn; „Hoffentlich zum ersten und letzten Mal in dieser Aufstellung“, jammerte Karl-Heinz Rummenigge und beklagte den nahezu kompletten Ausfall der Kreativabteilung.

Der erste Torschuss nach einer Bayern-Kombination war erst nach der Pause zu verzeichnen, als Jancker nur knapp neben das Ziel traf. Doch der hatte schon längst sein Tor gemacht: Nach einer harmlosen Ecke des überraschend geheilten Matthäus ließ Kiews Keeper Shovkovskyi den Ball wie eine heiße Kartoffel vor Janckers Füße fallen, der aus 50 Zentimetern Entfernung einschoss. Kiew spielte schnell, direkt, ballsicher, mit Blick für den Nebenmann. Aber dann traf nur noch Bayerns Paulo Sergio in der 80.Minute.

Als einziger fand Manndecker Thomas Linke Erklärungen für die beschämende Kulisse von 18.000 Zuschauern. „Es kann ja nicht immer ausverkauft sein.“ Und: „Die Fans haben ja auch eine lange Anreise, und wer das Wetter am Samstag gesehen hat ...“ Immerhin rafften sich die Sieger diesmal zum Gang vor die neuerdings so kritische Südkurve auf. Zum Zeichen des Protests hatten die Fans ihre Plakate immer noch verkehrt herum aufgehängt, so als trauten sie sich nicht recht, Farbe zu bekennen. Lothar Matthäus wurde beim kollektiven Ins-Publikum-Winken regelrecht sentimental: „Vielleicht war das ja mein letztes Europacup-Spiel.“ Nicht doch, Lothar. Am Montag kommen die Jungs aus New York zum Verhandeln, und dann wird schon alles gut werden. Wenn nicht, hat Hitzfeld schon die Lösung parat: „ Am liebsten wäre es mir, wir könnten den Lothar klonen.“

Bayern München: Kahn - Matthäus-Klon - Linke, Kuffour - Babbel, Fink, Tarnat, Salihamidzic - Sergio (90. Wiesinger), Jancker, Santa Cruz (75. Zickler)

Dynamo Kiew: Schowkowski - Dmitrulin, Golowko, Waschtschuk, Kaladse - Kardasch, Chazkewitsch (49. Gerasimenko), Gusin, Belkewitsch - Jaschkin (46. Wenglinski) - Rebrow

Zuschauer: 18.000, Tore: 1:0 Jancker (6.), 1:1 Rebrow (50.), 2:1 Sergio (80.)