EU ändert das Aufnahmeverfahren für die Neuen: Die Besten sollen die Ersten sein

■ Wer die Kriterien erfüllt, rückt der EU-Mitgliedschaft näher Zum Beispiel Ungarn. Rumänien ist von der Aufnahme weit entfernt.

Die EU will Ungarns Bauern nicht so unterstützen wie die der jetzigen Mitglieder

Fast zehn Jahre haben die osteuropäischen Länder auf die Entscheidung gedrängt. Nun ist sie offiziell: Die Europäische Union (EU) wird die Aufnahmekandidaten aus dem Osten in Zukunft nicht mehr als Gruppen der „Fortgeschrittenen“ und der „Nachzügler“ behandeln. Verhandelt wird mit allen. Dabei gilt in Zukunft das Wettbewerbsprinzip: Wer als Erstes die Kriterien erfüllt, hat die besten Chancen, in die EU aufgenommen zu werden.

Diese Entscheidung ist vor allem für die osteuropäischen Krisenländer ein Hoffnungszeichen: Nachdem Aufnahmeverhandlungen mit Estland, Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien in diesem Jahr begonnen haben, wird die EU nun auf ihrem Gipfeltreffen in Helsinki höchstwahrscheinlich auch Lettland, Litauen, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien für einen Beginn der Verhandlungen ab nächstes Jahr nominieren. An die letzteren Länder setzt die EU damit zum einen ein politisches Signal: Sie sind nicht ausgeschlossen. Anderseits geht es bei der „Differenzierung“, so der Name der neuen Politik, auch um harte Realität: Zwischen den Aufnahmekandidaten bestehen mittlerweile riesige Unterschiede. Unter den Ländern, mit denen Aufnahmeverhandlungen bereits begonnen haben, führt Ungarn die Rangliste an. Den Wandel zur Marktwirtschaft hat das Land erfolgreich durchgemacht. Ungarns Wirtschaft verzeichnet seit zwei Jahren leichte Wachstumsraten. Schon jetzt werden etwa drei Viertel seines Außenhandels mit der EU abgewickelt, die Auslandsinvestitionen sind mit Abstand die höchsten in ganz Osteuropa. Die Ungarn sehen ihr Land bereits jetzt in dem Zustand, in dem Griechenland oder Spanien waren, als sie der EU beitraten, wie Wirtschaftsexperten und Politiker immer wieder betonen. Sie hoffen auf einen EU-Beitritt im Jahre 2002 oder 2003.

Die größten Schwierigkeiten bei den Verhandlungen kommen auf Ungarn aber erst noch zu: Die EU will Ungarn nach der Aufnahme nicht die gleiche finanzielle Unterstützung für die Landwirtschaft gewähren wie den jetzigen Mitgliedern. Ungarn beharrt jedoch auf eine Mitgliedschaft mit allen Rechten. Bezüglich des Schengen-Abkommens verlangt Ungarn allerdings einen Sonderstatus: Es hat angekündigt, dass es als EU-Mitglied für sein Nachbarland Rumänien mit Rücksicht auf die dort lebenden 1,6 Millionen Ungarn keinen Visumzwang einführen will.

Ungarns Nachbar Rumänien ist nicht nur Herkunfts- und Transitland für EU-Immigranten, sondern steht unter den EU-Aufnahmekandidaten auch am Ende der Liste. Seit zehn Jahren schrumpft Rumäniens noch zum größten Teil staatliche Wirtschaft unaufhaltsam; ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Zudem trifft der durch das EU-Assozierungsabkommen teilweise liberalisierte Handel die kaum konkurrenzfähige Wirtschaft schon jetzt hart. Auch bei der Schaffung eines Rechtsstaates und der institutionellen Angleichung an die EU steht Rumänien noch am Anfang.

Die EU will dennoch voraussichtlich ab nächstes Jahr Aufnahmeverhandlungen mit Rumänien führen und das Land in Zukunft finanziell weitaus stärker unterstützen als bisher. Bedingung: Rumänien muss eine Mitbestimmung seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik durch die EU und internationale Finanzinstitutionen akzeptieren. So soll verhindert werden, dass Reformen wie bisher an der politischen Instabilität scheitern.

Ob Rumänien den Vorschlag der EU von Anfang November annimmt, ist noch unklar. Viele rumänische Politiker sehen ihn als Verletzung der nationalen Souveränität. In einem sind sich jedoch fast alle Politiker des Landes einig: Eine baldige Aufnahme Rumäniens in die EU ist nicht nur unmöglich, sondern hätte auch katastrophale Folgen für die Wirtschaft.

Keno Verseck, Bukarest