Fliegen aus Metall

■  Die NGBK erinnert mit einer Ausstellung an die Kulturvermittler Manfred Salzgeber, Christian Borngräber und Wolfgang Max Faust

Die Ausstellung macht bewusst, was Aids für einen Kahlschlag in der Kulturszene angerichtet hat.

Auf den ersten Blick hat es etwas Bedrückendes: eine mehrere Meter lange Mauer aus Zeitschriften, nicht verkaufte Exemplare der Zeitschrift Wolkenkratzer, des intellektuellen Zeitgeistblatts der Achtzigerjahre. Restposten, die vergessen in einem Keller in Frankfurt dahingammelten.

Fünf Jahre lang, von 1986 bis 1989, war Wolfgang Max Faust ihr Redakteur und Chefredakteur. Wichtige Arbeitsjahre seines Lebens sind nun also Makulatur. Altpapier. Auch sein letztes, 1993 erschienenes Buch „Dies alles gibt es also – Alltag Kunst Aids“, in dem er in Form eines Tagebuchs seine Aidserkrankung reflektierte und gleichzeitig eine sehr persönliche Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Kunst vornahm – zu Hunderten liegt es nun im Ausstellungsraum der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), vom Verlag zum Ramsch erklärt.

Die Ausstellung „Unterbrochene Karrieren“ ist der Versuch, die schnell verblassende Erinnerung an Menschen zu erhalten, deren Lebenswerk in der Vermittlung und nicht in der Produktion von Kunst liegt. Der Kunstkritiker Wolfgang Max Faust, der Kinomacher, Festivalkurator und Filmverleiher Manfred Salzgeber, der Designtheoretiker Christian Borngräber: Diese drei prägten in den Achtzigern die hiesige Kulturlandschaft maßgeblich dadurch, dass sie anderen den Weg ebneten.

Faust entdeckte und featurte die Neuen Wilden, die neoexpressionistische Malerei der Künstlergruppe vom Moritzplatz.

Borngräber war Promoter des Neuen Deutschen Designs mit seinen schrillen, in Form und Ausdruck so aggressiv und bizarren Objekten.

Und Salzgeber eröffnete mit dem „Bali“ das erste deutsche Programmkino, begründete und konzipierte für die Berlinale das „Forum des jungen Films“ und das „Panorama“ und gab mit seinem Verleih engagierten Filmen und Regisseuren eine Chance. Er entdeckte unter anderem Gus van Sant und Pedro Almodóvar, entwickelte ein Bewusstsein für den lesbisch-schwulen Film und setzte sich für Filme zum Thema Aids ein.

Geboren zwischen 1943 und 1945, gehören Borngräber, Faust und Salzgeber einer Generation an. Beeinflusst durch die deutsche Schwulenbewegung der späten Siebziger, waren sie offen schwul und erkrankten alle drei später an Aids. Borngräber verstarb 1992, Salzgeber zwei Jahre später, Faust erhängte sich 1993 im Heizungskeller seines Wohnhauses.

„Unterbrochene Karrieren“ unternimmt den Versuch einer Spurensuche. Betont assoziativ wird Biografisches und Privates mit dem öffentlichen Wirken zusammengefügt. Nicht von ungefähr. Ihre private Obsession machten sie zu ihrem Beruf. Fachlich fundiert und engagiert promoteten sie subkulturelle Entwicklungen der Kunst und verhalfen ihnen zu öffentlicher Anerkennung, im Falle von Faust sogar zu äußerst kommerziellem Erfolg. Bilder aus seiner Privatsammlung, etwa der Kölner Künstlergruppe „Mülheimer Freiheit“, von Rainer Fetting, Francesco Clemente oder Carlo Maria Mariani, vermitteln einen Eindruck seiner künstlerischen Vorlieben. Fotos zeigen ihn mit Malern und Galeristen. Faust, der umtriebige Agitator zwischen New York, Berlin und Venedig, unterwegs in Sachen „Heftige Malerei“. So kannte man ihn: als wortgewandten, einflussreichen Kunstkritiker.

Die Ausstellung präsentiert nun Material aus seinem Nachlass. Zum Beispiel einen Stichwortkatalog mit den zentralen Reizworten der Kunstdebatten der Achtziger: „Deuleuze“, „Cage“, „Change“, „Anti-Kunst“, „Deutsche Bilder. Deutsche Bilder?“ – 140 Begriffe umfasst dieses private Universum, das eigenes Wissen und ungeordnete Gedanken zu aktuellen Phänomenen penibel katalogisiert. Oder ein Konvolut von Tagebüchern, die Faust selbst noch einmal auswertete und auf so genannten Monatskarten verdichtete. Faust erscheint so als ein manischer Sammler von Ideen, als jemand, der unablässig versucht, die Welt zu fassen zu bekommen und das eigene Verhältnis zu ihr ausgleichen zu können.

Der Raum für Christian Borngräber (wie auch der für Faust konzipiert und eingerichtet von Frank Wagner) wird dominiert von Einrichtungsgegenständen aus der Wohnung des Designtheoretikers. Grotesk geformte Stühle aus Stahl, aus Flohmarktfunden gebastelte Tischlämpchen, ein scheußlich gemusterter Teppich, aus dem Borngräber eigenhändig lange Streifen „ausrasiert“ hat. Porträtfotos zeigen ihn als narzisstischen Exzentriker, der Krawatten oder Fliegen aus Metall trug, der Originalität halber. Borngräber war eigentlich Architekturhistoriker. Seine private Leidenschaft aber galt dem Alltagsdesign der Fünfziger, besonders die Vasen jenes Jahrzehnts hatten es ihm angetan. In den Siebzigern leitete er mit seinem Buch „Stilnovo“ die Wiederentdeckung des deutschen Nachkriegsdesigns ein. Für die NGBK gestaltete er Ausstellungen über Sowjetkunst mit. Nachhaltiger war jedoch sein Engagement für das junge deutsche Design, beispielsweise für die 1988 eingerichtete Berliner Designwerkstatt.

Hinter einer rot gestrichenen Wand liegt der Raum über Manfred Salzgeber (Gestaltung Ingo Taubhorn). Auf fünf Fernsehbildschirmen erinnern sich Kollegen, Liebhaber und Freunde. Filmemacher, wie Monika Treut, Rosa von Praunheim und Ulrike Ottinger, Berlinale-Chef Moritz de Hadeln. Dazu versucht man mit Filmplakaten, selbst getippten Programmzetteln, Zeitungsartikeln und Fotos ein Leben und dessen Werk zu bebildern und zu dokumentieren. Was nicht wirklich gelingt, zumal der persönliche Nachlass nicht verfügbar war. Doch Salzgebers Werk bestand sowieso hauptsächlich darin, zu kommunizieren, Initiativen loszutreten, Filmideen zu vermitteln. Der von ihm gegründete Verleih für Independent-Produktionen existiert noch heute unter seinem Namen. Das bewahrt Salzgeber wahrscheinlich eher als Faust und Borngräber davor, vergessen zu werden.

Wider die mögliche museale und archivarische Vereinnahmung sei dieses Projekt gerichtet, sagt Ausstellungsmacher Frank Wagner. Und so ist „Unterbrochene Karrieren“ auch eine sehr persönliche Hommage an diese drei fast schon vergessenen Berliner Kulturvermittler der Achtziger geworden. Doch noch mehr macht sie nur allzu deutlich bewusst, was Aids für einen Kahlschlag in der Kulturszene angerichtet hat.

Axel Schock

Bis 23. Januar, NGBK, Oranienstraße 25, täglich 12–18.30 Uhr.