„Was tut er? Er malt! Darf er das?“

■ F. W. Bernsteins Rede auf den Maler und Autor Rudi Hurzlmeier*

Ganz Berlin ist von den Westdeutschen besetzt. Ein von unbeugsamen Köpenickern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Längst ist die Köpenicker Cartoonfabrik erfolgreich dazu übergegangen, Deutschland zu unterwandern – die grafische Übernahme des ganzen deutschen Ladens steht bevor. Nach jahrelangen subversiven Aufenthalten in Köpenicker Deckadressen folgte heuer der Umzug in die Auguststraße in den Tempelbezirk von St. Avantgarde. Ich gratuliere.

Dass es gelungen ist, zur Einweihung aus dem Herzen der Südstaaten Rudi Hurzlmeier einzufliegen, der uns nachher einige seiner Freihandzeichnungen und Malerei zeigen wird, dies zeigt die Gefahr! Denn diese Macht lacht!

Wer ist Rudi Hurzlmeier? In seinem neuen Bildband, Wilde Kirschen – Sittenbilder aus ländlichen Lustgärten, stellt er sich so vor: „Rudi Hurzlmeier (bürgerlich: Freiherr Hurzlmeier zu Deggenbach), Cartoonist, Maler und Autor, entstammt dem niederen Landadel. Seine goldensten Jugendjahre verlebte er in einst arkadischen Ländereien südlich der Donau – und ähnlich wie bei Ribbeck zu Ribbeck in Havelland ein Birnbaum im Garten stand vor Hurzlmeiers Oberstübchen lang ein geräumiger Kirschbaum.“

Im Prospekt seiner Ausstellung vom September dieses Jahres in Kornwestheim lesen wir: „Rudi Hurzlmeier, 1952 im niederbayerischen Kloster Mallersdorf geboren, wohnhaft in München, fand in den 80er-Jahren als Autodidakt zur komischen Erzählkunst in Wort und Bild. Der Autor von mittlerweile 20 Comicbüchern, Cartoonbänden und satirischen Stadtführern arbeitet außerdem für Magazine wie Titanic, Stern, Penthouse, Eulenspiegel und das Fernsehen.“

Damenbrüstchen in Acryl auf kandierter Leinwand?

Zur Vernissage Kornwestheim noch, ich zitiere aus dem Prospekt: „Anlässlich der neuesten Buchveröffentlichung des Künstlers spendiert Meisterkoch Vincent Klink (Wielandhöhe/Stuttgart) ein Dessert, das im Anschluss an die Eröffnung gereicht wird.“ – Und was haben wir hier? Wildkirschen an Damenbrüstchen in Acryl auf kandierter Leinwand – oder was?

Ich erspar mir die Redeblume „Augenschmaus“ – es fällt mir schwer. Rasch wieder zu Rudi: Was tut er? Er malt! Darf er das? Es ist nämlich so: Lange Zeit, bis noch weit in die 80er-Jahre, galt die alte Zunftregel: Komisch ist der schnelle Strich, ernste Kunst ist malerisch. Und auch: Komisch ist das Kleinformat, weil's uns was zu sagen hat. Große Bilder zeigen nur Farb und Form und schweigen.

Aber da fing Rudi an komische Bilder zu malen. Welcome in the club, Rudi!

Wir waren schon mal weniger, wir werden immer mehr. Wer? Die üblichen Verdächtigen – Ernst Kahl. Der Legende nach soll Werner Tammen von der Galerie am Chamissoplatz ihm gesagt haben: Ernst Kahl, mal mal! (In „Gloomy Sunday“ zeichnet er wieder, vor allen Leuten!) Wen haben wir noch? Michael Sowa natürlich, Marunde, Bernd Pfarr, Gerd Haderer, Erich Rauschenbach, Hans Traxler, Gerhard Glück, Robert Gernhardt, wen noch?

Sie haben die Malerei wieder erfunden, um uns lachen zu machen. Gibt es einen edleren Zweck der Malerei? (Den Vergleich mit den trüben Tassen der Groß-und Hochkunst, der neusten, erspar ich Ihnen. Und malen ist dort eh out. Und zeichnen – ach Gott!)

Ja, auch Rudi Hurzlmeier malt, und wenn der erhöhte Schwierigkeitsgrad seiner Sittenbilder nicht gleich auffällt, so ist das schon Ausweis hoher Meisterschaft. Maßstab aller Artisten: nicht schwitzen! Mühelos muss es wirken. Nicht wahr: die Schwarzweißzeichnungen, Strich auf weiß, die lesen wir. Und rasch muss die Pointe zünden. Die Malerei aber umfängt uns mit allen Reizen und Düften und Klängen; Stimmung, Licht und Atmosphäre betören uns, wie Musik, wie der Soundtrack im Film. Welcher Überfluss, der als Mehrwert die Pointe des Cartoons steigert, ja in einer Weise überhöht; wir unterbrechen die Schwärmerei für ein Beispiel: – Sie wären die Redaktion, das Lektorat – ich bin Rudi und komm an und biete Ihnen an: – Also, ich hätt da ein Farbcartoon – stehen zwei Frauen auf der Straße, im Winter, mit so Strickzeug an, sagt die eine Strickliesel zur anderen: „Hängst auch wieder voll an der Nadel?“ Ein freundlicher kurzer Lacher, ein „Sie werden von uns hören“ und „Der Nächste bitte!“. D. h.: Sie würden die Ablehnung vielleicht noch rauszögern – oder Sie gehören zur Familie der Freunde der komischen Malerei – würden sofort „gekauft“ sagen, und Sie täten recht daran. Rudi hat dieses Blatt vor Jahren gemalt, in den 80er-Jahren kam's in der Titanic, und ich hab's! Das Original – o namenlose Freude: Ich erzähl Ihnen das Bild: Es ist das schönste aller Schlechtwetterbilder; nass neblig trüb kalt – auf Packpapier, Format ungefähr A3, eher kleiner, veranstaltet Rudi mit Pinsel und dem Schulmalkasten und etwas Deckweiß einen malerischen Zauber dergestallt, dass Sie bei jedem Fleck und Strich die Wirkung spüren: Dämmerlicht und Nebelnässe – und genau sehen, wie's gemacht ist: doppeltes Glück.

Nein, Deckweißtrottoir vor packpapierbrauner Fassade

Also: Vorne links eine halb schwarze Hausfassade, Fenster sauber ausgespart bis zum 2. Stock – mit Gelb beleuchtet. Rechts zieht sich, mit dünnem Wasserfarbkastenschwarz hingetuscht, die Häuserfront ins Packpapierbraun. Den Himmel lassen wir so: Verwandlung des Packpapiers ins Dämmerlicht – keinen Hund möcht man bei diesem Wetter rausjagen – ist auch kein einziger im Bild. Mit Deckweiß, auch so einer dünneren Suppe, macht er einen Straßenbelag, stellt mit spitzem Graupinselchen drei dünne dürre Bäumchen an den Straßenrand, wie flüchtig inszeniert er äußerst aufmerksam sein Bühnenbild – drei Autos rechts. Und vorn auf dem Deckweißtrottoir der Gullydeckel. Stücker vier graue Passantensilhouetten verteilen sich in der Tiefe des Raumes. Jetzt sorgfältig die Ladenschilder. „Hot Wolle“ rechts auf einer Tafel. Grau in Grau. Vorne, Eckhaus, Höhe erster Stock, dieses postmoderne Neon-Ding „Wollust“ – vorn ins Schaufenster – etwas Gelb rein, Deckweiß – eine Pulloverform in die Auslagen, zwei violette Wollknäuel, drüber „Wolleri und Wollero“, Neon, blau. Im Hintergrund noch irgendwo „Wollywood“ – die alternative Strickszene ist aufgebaut. Jetzt die Damen aufs Blatt. Ja – guten Tag – ihr habt uns grade noch gefehlt! Halt – da vorn vor die Hausecke. Und schon prangen im Grieselgrau zwei total süß eingemummelte Strickmädels, Mützchen mit Bommel, mit Ohrenklappen, fein bunt gestrickt mit feinem Pinsel Kolinsky Rotmarderschwanzspitzen, Stärke zwei höchstens. Was wir an Farbe gespart haben bislang: Hier wird's fein gepünktelt, gestreift im Strickwerk. Lange lange Wollschals wie Schleppen; Körbchen mit Wollknäuel, wo die Nadeln drinstecken; Tüte mit „Wollimarkt“ drauf – rote Näschenspitzen beide. Und eine sagt mit Bleistift unterm Blatt ihren Text: „Hängst auch wieder voll an der Nadel!“ – Das Bild ist zum historischen Dokument geworden. Das gab's nur einmal, das kommt nicht wieder – die alternative Strickszene – wann war's? Späte 70er? Hier auf dem Packpapier ist's bewahrt und aufgehoben für immer und ewig und drei Tag.

Was er auf dem Wollust-Blatt, das Sie nicht sehen, mit kleiner Farbbesetzung inszeniert hat, ist aber noch gar nix, verglichen mit den Sittenbildern, die er hier mit großem Farborchester aufführt.

Wie er das macht! Man lacht über die Pracht. Gute Nacht.

Die Ausstellung in der Cartoonfabrik, Auguststr. 83, Berlin-Mitte, Di.–Do. 14–21 Uhr, läuft

*gehalten am 10. 12. in der Cartoonfabrik