■ EU-Steuerharmonisierung scheitert an der Schwäche der EU: Kapitaltouristen können aufatmen
Die Europäische Union ist ein steuerrechtlicher Flickenteppich: Je nach Mitgliedsstaat greift der Fiskus den Bürgern unterschiedlich tief in die Taschen. Diese Unübersichtlichkeit nutzt Steuerflüchtlingen und schadet dem Staatssäckel: Allein deutsche Sparer enthalten den Finanzämtern jährlich Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe vor, indem sie ihre Gelder in der Steueroase Luxemburg anlegen.
Eine gemeinschaftliche Regelung der Zinsbesteuerung in der EU sollte diese Steuerschlupflöcher nun stopfen. Doch Europas Kapitaltouristen können aufatmen: Die geplante Neuordnung, nach der EU-Bürger, die ihr Geld in einem anderen Mitgliedsland angelegt haben, mindestens 20 Prozent der dort anfallenden Zinseinkünfte an den Fiskus abführen müssen, ist in Helsinki am Veto Großbritanniens gescheitert. Die britische Regierung wollte der Abgabe nur unter der Bedingung einer Ausnahmeregelung für den Großhandel mit so genannten Euro-Bonds zustimmen, der für die Londoner City bedeutend ist. Tony Blairs kontinentale Amtskollegen lehnten den Kompromissvorschlag ab. Zu Recht, denn es geht nicht an, dass Großanleger geschont werden, während man kleine Sparer zur Kasse bittet. Weil aber steuerrechtliche Regelungen nur mit der Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten im Ministerrat verabschiedet werden können, fiel die Steuerharmonisierung in der Europäischen Union durch.
Der Streit zeigt, dass die Institutionen der Europäischen Union zwar zur Marktliberalisierung taugen – aber versagen, wenn es darum geht, eine gemeinsame Politik zu machen, die den Markt korrigiert. Dabei wäre es an der Zeit: Seit der Vollendung des Binnenmarkts können Investoren ihr Kapital von Barcelona bis Berlin beliebig frei bewegen. Die EU-Staaten konkurrieren auf diesem Kapitalmarkt um die Gunst der Geldanleger – ein Wettbewerb, bei dem nicht immer alle fair spielen: Mit Steuernachlässen locken Staaten wie Luxemburg oder die britischen Kanalinseln finanzkräftige Anleger ins Land. Dadurch geraten die Steuersysteme der anderen unter Druck: Wer sich nicht anpasst und an der Steuerschraube dreht, den bestraft das mobile Kapital.
Die durchschnittliche steuerliche Belastung solchen Kapitals ist deshalb in den EU-Staaten in den letzten zehn Jahren von 45 auf 40 Prozent gesunken. Dafür langt der Fiskus bei denjenigen, die nicht so mobil sind, umso kräftiger zu: Die Besteuerung des Faktors Arbeit stieg von 34 auf 40 Prozent.
Jedoch: Fiskalpolitik ist Sache des Staates, nicht der Kapitalmärkte. Die Entscheidung darüber, wer wie viel seiner Einkünfte an die Allgemeinheit abzuführen hat, gehört in den Bereich der demokratisch legitimierten Willensbildung. Wenn aber der Nationalstaat eine effektive Steuerpolitik nicht mehr leisten kann, dann müssen europäische Lösungen her: Nur wenn die Politik ihre Kompetenzen auf der EU-Ebene wieder herstellt, kann sie hoffen, den Markt wieder in den Griff zu kriegen. Die geplante Neuordnung wäre deshalb ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Was ist nun zu tun, damit sich die Steuerpleite nicht wiederholt? Zuerst braucht die Union endlich ein effizientes Entscheidungsverfahren. Dazu muss der Abstimmungsmodus im Ministerrat verändert werden: So lange EU-Richtlinien durch das Veto eines Mitgliedsstaates gekippt werden können, ist ein Ende der Selbstblockade nicht in Sicht. Der Binnenmarkt konnte nur deshalb verwirklicht werden, weil EU-Direktiven, die die Liberalisierung der Märkte zum Inhalt haben, schon lange nach dem Mehrheitsprinzip entschieden werden – warum soll dies nicht auch für eine gemeinschaftliche europäische Fiskal- oder Sozialpolitik gelten?
Allerdings: Effizienz ist nicht alles. Die Normierung des Krümmungsgrads der Euro-Banane mag man noch getrost den Brüsseler Technokraten überlassen – geht es indes um Steuern, haben die Bürger ein Wörtchen mitzureden. Wenn die Kompetenzen der Union wachsen, dann muss sie auch demokratischer werden: „Keine Besteuerung ohne Repräsentation“ – der Leitspruch des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes sollte nun endlich auch auf dem alten Kontinent gelten. Mark Schieritz
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