Der Dickkopf

Der Reggae-Impressario Mad Professor schwimmt mit Erfolg gegen den Strom  ■ Von Nils Michaelis

Es war einmal im Jamaika des Jahres 1981, als das Überleben eines der schönsten Musikstile des Universums bedroht war: das Krisenjahr des Dub-Reggae. Nachdem sämtliche Echos ihren x-ten Looping durchflogen hatten, die akustischen Hallräume nicht mehr vergrößerbar schienen und auch der letzte Riddim durch die Mischpulte der Herren King Tubby und Lee Perry veredelt wurde, hatte auf Jamaika das innovative Potenzial des Dubbing seine Grenzen erreicht.

Es war im fernen London des Jahres 1981, als Mad Professor auf der Bühne der Dub-Mixer erschien und den ersten Prototypen seiner „Dub Me Crazy“-Edition veröffentlichte. Neil Frazer, wie der Mixologe mit bürgerlichem Namen hieß, war eigentlich auf Guayana geboren, aber schon als Kind mit seinem Vater nach London ausgewandert. Sein Blick auf Dub-Reggae entsprach der glorifizierenden Außenperspektive: das nahe Ende nicht akzeptierend, hielt er die Fahne hoch. So wurde Mad Professor, der heute zusammen mit DJ Nolan Irie und zwei Sängerinnen in der Fabrik auftreten wird, neben Adrian Sherwood in London und Bill Laswell und dem Wackies-Label in New York zur festen Größe innerhalb der Dub-Diaspora.

Das „Mad“ in seinem Namen ist dabei keine Anspielung auf seine Exzentrizität, sondern stammt noch aus der Schulzeit in Guyana: „Es fing schon in der Schule an. Statt, wie andere Kinder Fußball oder Cricket zu spielen, hab ich mich mit Elektronik beschäftigt. Mit 9 oder 10 Jahren hab ich dann mein erstes Radio aus Transistoren und Dioden zusammengebaut. Die anderen Kids konnten das nicht verstehen. Für die war ich der Mad Professor.“ Mit seiner top-unmodischen Kassengestellbrille wirkt Frazer bis heute wie der Archetyp des technophilen Nerds. Aber es war die fehlende Scheu vor den Geräten, die ihn dann später in London dazu brachte elektronisches Equipment zusammenzukaufen – die Grundlage seines späteren Studios.

Von dort aus gründete er sein Label Ariwa, das zum ökonomischen Standbein des inzwischen vielbeschäftigten Professors werden sollte und mit seinen inzwischen über hundert Veröffentlichungen selbst ein Kapitel in der Reggaegeschichte schrieb. Dabei verstand Frazer Ariwa nie als puristisches Dub-Label. Ein Künstler wie Macka B brachte z.B. (alt-)linke Teach-ins auf die Bühnen, während Sister Ann für knüppelharten Ragga stand – coolen Prolls zum Geleit. Wegen seiner Ader für den süßlichen Philly-Sound wurde Ariwa auch zum Markenzeichen für manchmal hart am Abgrund zur Schlagerhaftigkeit segelnden Lovers-Rock.

Immerhin handelte Frazer antizyklisch, eher als Fan denn als ein auf Hypes setzender Geschäftsmann: „Ariwa hat eine sehr großes stilistisches Spektrum. Wir haben z.B. den weichen Lovers-Rock-Sound rausgebracht. Als andere sagten, dass dieser Scheiß keinen Wert habe, waren wir die Letzten, die diese Sache am Laufen hielten. Jetzt ist Lovers Rock sehr populär auf den Philippinen, in Japan und natürlich in London.“

Als Dub-Mixer aber ist Frazer nicht unumstritten. Sich selbst sieht er weniger als Musiker denn als Techniker, dem es um das abgedrehte, verstörende Geräusch geht. Gerade die an King Tubbys Minimalismus' geschulten Dub-Fans beklagen sowohl die überbordende Vielzahl technischer Gimmicks, unter denen seine Mixes ächzen, als auch die zunehmende Berechenbarkeit seiner Verfremdungstechniken – immerhin ist die Dub Me Crazy-Reihe seit 81 bis zur 12. Nummer vorgedrungen. Doch dann versorgte der Mad Professor die skeptische Musikwelt mit einer veritablen Salonrevolution: Der No Protection genannte Dub-Remix des Massive Attack Albums Protection geriet so psychedelisch, bassdurchflutet und deep, dass erst einmal Ruhe in Reggaeland war.

heute, Fabik, 21 Uhr