Gruppen-Springen der Schlauen

Schulversuch ermöglicht, eine Klasse zu überspringen. GEW übt Kritik  ■ Von Sandra Wilsdorf

Gemeinsam springt es sich besser, findet die Schulbehörde und startet am 1. August 2000 einen vierjährigen Schulversuch: An acht Hamburger Schulen sollen besonders leistungsstarke Schüler jeweils eine neue Klasse bilden und zwischen Unter- und Mittelstufe so viel lernen, dass sie ein Jahr schneller sind als ihre weniger schlauen Mitschüler. Die Schule kann sich dabei für eines von vier Modellen entscheiden. Bei der härtesten Variante lernen die Schüler in der sechsten Klasse den Stoff für die siebte Klasse mit und springen dann gleich in die Achte. Bei den anderen Varianten gibt es den Stoff von drei in zwei oder den von vier in drei Jahren.

Das Modell ist auch eine Antwort auf die Ergebnisse der Lernausgangslagenuntersuchung (LAU), derzufolge in Hamburg die starken Schüler nicht genug gefördert werden (die taz hamburg berichtete). „Es wurde aber auch vorher schon darüber diskutiert“, sagt Viola Griehl, Sprecherin der Schulbehörde. Senatorin Rosemarie Raab sei in dieser Angelegeheit außerdem schon seit längerem mit Eltern im Gespräch gewesen.

Für Ilona Wilhelm, Pressesprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist das Modell eine „pädagogische Bankrotterklärung“. Sie bezweifelt, dass in einem Jahrgang 15 Hochbegabte sind. „Warum aber sollten normal leistungsstarke Schüler funktionierende Klassenverbände verlassen?“ Es sei pädagogisch erwiesen, dass die Spitzen einer Klasse die anderen motivieren. „Brechen die Besten weg, leiden alle darunter.“Reiner Schmitz von der Schulbehörde hält dagegen: „In Rheinland-Pfalz haben solche Versuche ergeben, dass sich unter den Übriggebliebenen schnell eine neue Spitzengruppe bildet, deren Mitglieder sehr viel stärker sind, als sie es vorher waren.“ Trotzdem: „Nimmt man die Besten heraus, sagt man den anderen, dass sie minderbegabt sind. Man sollte eher alle fordern“, sagt Ilona Wilhelm.

Die Schulbehörde verspricht immerhin, dass der Versuch nichts kostet und keine Nachteile in der Lehrerversorgung für die Nicht-Springer hat. Das soll funktionieren, weil sich in Hamburg die Zahl der Lehrerstunden nicht nach Klassen, sondern nach SchülerInnen berechnet. „Die Springer, die ein Jahr weniger zur Schule gehen, sparen Lehrerstunden ein, die die Schule trotzdem bekommt, um den Versuch zu ermöglichen“, sagt Schmitz.

Das geht allerdings nur, wenn Schulen und Klassen groß genug sind und sich die 15 bis 20 Springer tatsächlich finden lassen. Dafür hat die Behörde die Hürde niedrig gemacht: Der erforderliche Notendurchschnitt ist 2,5. Außerdem müssen Eltern zustimmen, und die Zeugniskonferenz muss eine Empfehlung aussprechen. „Wir wollen vermeiden, dass Eltern ihre Kinder mit viel Nachhilfe in diese Gruppe zu bekommen versuchen. Sie soll aber auch für die offen sein, die leistungsstark sind, aber keine Ambitionen auf den Primus-Posten haben“, erklärt Schmitz. Ilona Wilhelm glaubt trotzdem, dass das Modell den Leistungsdruck noch größer macht, und dass „es die Gliedrigkeit unseres ohnhin sortierenden Schulsystems noch weiter treibt“.