Vera Friedländer mit ihrem Arbeitsbuch aus der NS-Zeit

Den ganzen Krieg über lebte Vera Friedländer (71) in Angst um sich und um ihre Familie. Ihre Mutter war Jüdin, ihr Vater Christ. Doch während ihr Vater bis Kriegsende wegen „Rassenschande“ in einem Lager bei Merseburg einsaß, blieb ihre Mutter während der gesamten Zeit unbehelligt. Bis heute weiß sie nicht, warum. Sie vermutet, dass eine Widerstandsgruppe im Berliner Arbeitsamt für Juden die Registriermarke ihrer Mutter verschwinden ließ.

Vera Friedländer arbeitete zunächst – freiwillig und bezahlt – als Stenotypistin bei einer Rüstungsfirma, bis ihr Chef Anfang 1945 jene Zwangsverordnung erhielt, die sie als unbezahlte Hilfsarbeiterin in den Reparaturbetrieb der Salamander A.-G. in der Köpenicker Straße anforderte. Dort arbeitete sie, so berichtet Friedländer, „zusammen mit 50 bis 60 Leuten“, polnischen Schuhmachern, Franzosen, Serbinnen und jüdischen Frauen – bis zum 18. März 1945, als das Gebäude von einer Bombe teilweise zerstört wurde. Danach wurde sie einem Lederbetrieb zugeordnet. Diese Stationen sind alle in ihrem Arbeitsbuch dokumentiert.

Vera Friedländer hat nach dem Krieg in der DDR zunächst als Redakteurin und später als Professorin für Sprachwissenschaft an der Humboldt-Universität gearbeitet. Als sie einen Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus stellen wollte, wurde ihr auf der Behörde gesagt: „Wieso, Ihnen ist doch gar nichts passiert.“ Seit 1990 bekommt sie eine kleine Rente als „rassisch Verfolgte“.

Vera Friedländer leitet heute eine Sprachschule in Berlin. Vor einiger Zeit war sie noch einmal in den Räumen des ehemaligen Reparaturbetriebs in der Köpenicker Straße in Berlin-Kreuzberg. Was die Bomben übrig ließen, steht auch heute noch. Die meisten Räume sind leer. Wenn sie mit ihrer Sprachschule expandiert, möchte sie gerne diese Räume anmieten und am Eingang ein Schild anbringen lassen, das an die Zeit von damals erinnert; damit Salamander nicht mehr behaupten kann, diesen Reparaturbetrieb habe es nie gegeben.

Volker Weidermann

Foto: Bernd Hartung