Grüne drohen Atomindustrie mit 30 Jahren Laufzeit

■ Vorstand fällt um und verabschiedet sich von Forderung nach kürzerem Betrieb von AKWs. Trittin und Fischer sollen die Verhandlungen führen

Berlin (taz) – Der Bundesvorstand der Grünen hat sich auf eine gemeinsame Linie für den Atomausstieg geeinigt: Die Partei besteht nicht länger auf einen Ausstiegszeitraum von unter 30 Jahren. Am Rande der Sitzung wurde bekannt, dass Vorstandssprecherin Antje Radcke vom linken Parteiflügel nachgegeben hat. Die Mehrheit des Bundesvorstands einigte sich mit vier zu einer Stimme darauf, dass „eine Höchstlaufzeit von 30 Jahren nicht überschritten werden soll“. Außerdem streben die Grünen an, „dass noch in dieser Legislaturperiode die ersten Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen“.

Bislang hatte Radcke gemeinsam mit Fraktionssprecherin Kerstin Müller auf kürzeren Laufzeiten bestanden. Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer konnte sie gestern davon überzeugen, dass diese Vorgehensweise zu einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Gesetz führen könnte. Radcke stimmte auch der Einschätzung zu, dass es für die Grünen riskant sei, sich vor den Verhandlungen mit Bundeskanzler Schröder und vor den Konsensgesprächen mit den Atomkonzernen auf genaue Zahlen festzulegen. Sie wünsche sich nach wie vor kürzere Laufzeiten, sagte Radcke. Es bleibe ihr nun nichts anderes übrig, als den beiden grünen Verhandlungsführern Joschka Fischer und Jürgen Trittin zu vertrauen“. Heute will sich die Bundestagsfraktion der Grünen auf eine Position zum Atomausstieg einigen. Im Anschluss daran tagt der Grünen-interne Koalitionsausschuss.

Fischer und Trittin sollen ein Verhandlungsmandat von Fraktion und Vorstand für die Gespräche mit dem Bundeskanzler und den Atomkonzernen bekommen.

Umweltminister Jürgen Trittin sagte dagegen, dass „eine gemeinsame Position der Regierung“ gegenüber der Industrie notwendig sei und nicht durch „Konzentration auf eine Zahl“ gefährdet werden dürfe. Seiner Meinung nach ist der Atomausstieg im Konsens mit der Industrie besser zu bewerkstelligen. Im Einvernehmen sei es leichter, das Ende der Wiederaufarbeitung und die Schließung von Schacht Konrad zu erreichen. Trittin hielt es für möglich, dass sich die Atomkonzerne bereit erklären, einige alte Meiler noch in dieser Legislaturperiode abzuschalten.

Veit Bürger, Energieexperte bei Greenpeace, sieht dies ganz anders. Der angestrebte Konsens mit der Industrie sei „nichts als ein Klotz am Bein der Bundesregierung“. 30 Jahre Gesamtlaufzeit hätten nichts mehr mit einem Atomausstieg zu tun, sondern „entsprechen allein den Wünschen der Atomindustrie“. Die Regierung solle keine Laufzeiten festlegen, sondern die Sicherheitsanforderungen an Atomanlagen so gestalten, dass den Betreibern nichts anderes übrig bleibe, als die AKWs früher vom Netz zu nehmen. Einige Grüne aus Rheinland-Pfalz haben inzwischen eine Urabstimmung über die Strategie für den Atomausstieg beantragt. Sie brauchen 2.600 Unterschriften, dann muss der Bundesvorstand eine Urabstimmung durchführen.

Tina Stadlmayer