Eine Prophezeiung zur Zukunft der Ozeane

Die Meere sind nicht das Eigentum von Menschen. Sie müssten unter treuhänderische Verwaltung gestellt werden, fordert die Professorin für Seerecht, Elisabeth Mann Borgese

1972 erschien der erste Bericht vom Club of Rome, dem Club der 100 renommierten und erlesenen Globaldenker. „Die Grenzen des Wachstums“ wurde weltberühmt, weil es den Zeitnerv traf und erstmalig bewusst machte, dass die Ausbeutung der Erde, so wie der Mensch sie betreibt, Grenzen hat, und zwar nahe.

Die Prophezeiungen der Umweltfolgen von damals – sterbende Wälder und vergiftete Flüsse –, hervorgerufen durch die Ideologie des „ständigen wirtschaftlichen Wachstums“, sind mittlerweile Wirklichkeit geworden. Die Mitbegründerin und damals einzige Frau des Denkerzirkels, die Seerechtsprofessorin Elisabeth Mann Borgese, legte nun für den Club of Rome einen Bericht über die Perspektiven der Ozeane vor.

Hugo Grotius schrieb 1609 in seiner Dissertation „Mare Librum“, dass der Ozean so riesig sei, dass er gleich der Luft niemandem gehören könne. Daher herrsche endlose wirtschaftliche Freiheit. Spätestens aber mit der Entstehung der Nationalstaaten und wirtschaftlichen Interessen hatte diese Freiheit ein Ende gefunden. Die Ausbeutung der lebenden Ressourcen durch kurzfristiges Profitdenken, die Überfischung und Vernichtung ganzer Ökosysteme durch Verschmutzung zeigen, dass ein neuer Grundsatz im Umgang mit den Ozeanen notwendig ist.

„Das Gesetz des Landes kann nicht schwimmen“, sagt Elisabeth Mann Borgese und fordert daher einen radikalen Perspektivenwechsel: Das Festland sollte als die Fortsetzung des Meeres gesehen werden und nicht umgekehrt.

Denn jenes Doppelprinzip, auf dem das traditionelle westliche Seerecht aufgebaut ist – die Ausdehnung der Staatssouveränität über die Meere und die wirtschaftliche Freiheit der Meere –, eignet sich nicht zur Lösung der Probleme unserer Zeit. Einerseits brächte sie die Vernichtung der Meeresressourcen mit sich, andererseits würde eine weitere Ausdehnung der Hoheitszonen unweigerlich zu Konflikten führen. Der maltesische Botschafter Arvid Pardo hat dies in seiner berühmten Rede vor den Vereinten Nationen am 1. November 1967 klar ausgedrückt und den Beginn eines neuen Seerechts gefordert: Die Weltmeere sollten als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ betrachtet werden.

Um ein globales System für eine neue Ordnungspolitik zu schaffen, beschreibt Elisabeth Mann Borgese an Hand von Forschung, Kultur, Wirtschaft und Recht die historischen und grundlegenden Entwicklungen unseres Umgangs mit den Ozeanen. Immer den Gedanken einer neuen Staats- und Wirtschaftsordnung vor Augen, stellt sie der traditionellen „Landsichtweise“ eine neue globalere „Ozeansichtweise“ gegenüber.

Unter den „landgestützten“ Begriffen, die im Ozean nicht funktionieren, zählt sie z. B. das „Eigentum im Sinne des römischen Rechts“, die „staatliche Souveränität im Sinne des Westfälischen Friedens“ und die „Landesgrenzen, an die sich weder Fische noch Verschmutzung halten“.

Die Meere sind nämlich nicht das „Eigentum“ von Menschen, sondern sollten treuhänderisch verwaltet werden, wobei die „Kooperation zwischen der Bürgergesellschaft und den Institutionen der Regierungsgewalt auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene die Grundlage bildet“. Erst hierdurch kann der Reichtum der Meere im Sinne der nachhaltigen Entwicklung geschützt werden.

Das Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit und das Prinzip des engen Zusammenhanges der Probleme im Meeresraum wurden in die Seerechtskonvention von 1994 aufgenommen. Doch auch wenn die Gesetze und die Institutionen vorhanden sind, ohne Einsicht fehlen vielerorts der Wille und das Interesse, diese Prinzipien einzuhalten.

„Die Meerespolitik und das allmählich entstehende System einer Ordnungspolitik für die Ozeane spielen für die Neugestaltung der gesellschaftlich-politischen Landkarte im nächsten Jahrhundert eine Führungsrolle“, schreibt Mann Borgese und wird damit vermutlich Recht haben. Ihre radikalen Empfehlungen am Ende des Buches für das Wohlergehen aller Menschen lauten daher, dass die traditionellen Begriffe wie Arbeit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Marktwert neu definiert werden müssen.

Elisabeth Mann Borges, 81, genannt „Botschafterin der Ozeane“ und jüngste Tochter von Thomas Mann, gründete das International Ocean Institute in Malta, verfasste neun Bücher über Meere, ein Kinderbuch, Theaterstücke und mehrere Novellen und ist ausgebildete Konzertpianistin. Ihr Motto: „Wir müssen die Ozeane retten, wenn wir uns selbst retten wollen“ sei jedem Menschen ans Herz gelegt.Onno Gross

Elisabeth Mann Borgese: „Mit den Meeren leben“. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1999, 320 Seiten, 39,90 Mark.