Meister Stahl

PinUp des Metals: Peter Steele von Type O Negative wandelt sich vom Ausländerfeind zum geschäftigen Romantiker  ■ Von Oliver Rohlf

Vielleicht erlebt unsere Hansestadt am Wochenende ja einen Moment von historischem Gehalt, wenn sich im G1 des Metal letztes PinUp im Scheinwerferlicht aalen und die Welt mit elegischen Bassläufen ersticken wird. Jedenfalls beherrscht Peter Steele, von Beruf Type O Negative-Sänger, als einziger Stahl- und Eisen-Barde des Genres die Rolle des „speaking name“. 36 Jahre durchlittener Ernsthaftigkeit lauern auf die pilgernde Fanschar, die bereit ist, ihre kathedralenhafte Absolution erteilt zu bekommen. Zwei Meter muskeldurchzogene Eiche mit pechschwarzem, schulterlangen Wallehaar und einem Kinn wie von Steinmetz-Hand gemeißelt – Steele hat lange gebraucht, um als diese Mischung aus Sexsymbol, Sektenführer und kauernder Popstar für Unruhe in abertausend Teenagerträumen zu sorgen.

War aber auch eine schwerer Zeit für die Szene und den Mann selbst: Aus den klassischen, Spandex-bespannten Body&Stimmband-Helden der ersten Generation – denken wir nur an Ozzy Osborne, David Lee Roth als einstiger Van Halen-Hengst oder Judas Priest-Sirene Rob Halford – wurden überreife Herren mit Hang zu Bauchansatz und betriebsbedingter Senilität. Selbst die modernen und um vieles weiter denken Leitfiguren der Alternative- oder Grunge-Peripherien richten vor nicht allzu langer Zeit ihre Wut vor allem gegen sich selbst. Von den dürren wie sozial unverträglichen Männchen der nordischen Black Metal-Mafia wollen wir erst gar nicht anfangen.

Steele selbst wurde jahrelang und szeneübergreifend als herumprollender Frauenfeind und kurzgeistiger Asylrechtsverschärfer gedisst. Nur langsam und verbunden mit unzähligen Reue-Interviews ließ sich die Rockwelt auf den gewandelten Steele ein und schenkte seinen neuen, weinerlich-zynischen Liedern Glauben. Seitdem heißt es: Bahn frei! In Peter Steele einigen sich nach der Zeit der bildhaften Dürre so ziemlich alle (Wahn-)Vorstellungen des perfekten Metal-Mannes: Potenz trifft auf Grübelei, Sex und Violence sind nun doch Geschwister im Geiste – und, ganz wichtig, Philosophie und Fantasy schließen einander nicht länger aus.

Endlich darf ein ganzes Genre wieder die Flucht nach Irgendwo antreten, dürfen Romantik und Eros sich paaren lassen im Klange dessen, was sich als Gothic Metal einen simplen, aber zutreffenden Namen verpasst hat. In dieser Schnittmenge nämlich treffen sich die schöne weiche Welt der aufgeblasenen Brustkörbe und der redundante Hang zum Morbid-Schönen auf ein nettes Bier, um gemeinsam gegen den grassierenden „Kulturfaschismus“ in Politik und Fernsehen zu wettern. Die Feinde sitzen dort, wo drüben ist und wo Anzugträger an sich friedliche Pop-Minderheiten unterdrücken.

Steele weiß um den Frust seiner Zuhörer und schneidert dazu einen Rock-Soundtrack nach Maß – und fürs Auge. Auf seinem aktuellen Album World Coming Down hat sich Meister Stahl von den herkömmlichen Altherren-Phantasien à la My Girlfriends Girlfriend verabschiedet und bietet sich nun als Privatperson zum Verkauf an. Der Tod seines Vaters sowie eine Reihe anderer persönlicher Problemstellungen haben Steele und seinen Mitkomponisten Josh Silver zu vielen nachdenklichen, aber auch rockenden Songs inspiriert, die zuweilen den Suizid als ultimative Option zumindest nicht ausschließen. Bevor es soweit ist, will Meister Stahl noch eine schöne Stange Geld verdienen: Irgendwer soll mal behauptet haben, reich stürbe es sich leichter.

mit Coalchamber: Sa, 18. Dezember, 20 Uhr, G1, Gasstraße 4