: Satanische Perversionen
Wo ist er geblieben, der Polanski von einst? Und nach den eher halbseidenen Filmen „Bitter Moon“ und „Der Tod und das Mädchen“ jetzt das: „Die neun Pforten“ oder Der Niedergang eines Regisseurs ■ Von Katja Nicodemus
Damals, als die Kamera noch im Kopf seiner Figuren saß, da hätte man sie manchmal gerne rausgerissen, um sich an der Objektivität festzuhalten, die das Objektiv doch zu versprechen scheint. Den Ausweg der anderen, äußeren Perspektive verwehrte Polanski in seinen früheren Horrorfilmen. Stattdessen machte er uns zum Zeugen, Teilnehmer, Komplizen eines Vorgangs, den die Kamera aus dem Gehirn und mit dem Blick der Figuren verfolgte. Also entdeckten wir mit dem schüchternen kleinen Angestellten Trelkovsky aus „Der Mieter“ erst den ekligen Zahn in der Wand und dann die eigene Zahnlücke im Spiegel, sahen die tote Nachbarin am gegenüberliegenden Fenster. Wir durchlitten die Vergewaltigungsalbträume der zurückgezogenen Maniküre Carole in „Ekel“ und entsetzten uns mit der jungen Schwangeren aus „Rosemaries Baby“ über die unheimlichen Geräusche aus der Nebenwohnung. Immer wieder sieht man die einsamen Helden dieser Filme verloren auf einen Punkt jenseits der Kamera starren. Vielleicht besteht Polanskis Horror letztlich in der Angst vor der Ausschließlichkeit dieses nach innen gerichteten, halluzinatorischen Blicks. Wohl deshalb hat man immer das Gefühl, die Hauptfigur müsste doch eigentlich nur mit einem vernünftigen Bekannten vor die Tür, ans Licht, über die Straße gehen, und weiß trotzdem, dass nichts unmöglicher ist als das.
Die bodenlose Einsamkeit der Figuren und ihr daraus resultierender Selbstzerstörungstrip lässt den Schrecken des frühen Polanski menschlich werden. Der in Frauenkleider gehüllte Mieter, der mit grotesk verdrehtem Bein und blutigen Händen die Treppe zu seinem Apartment hochkriecht, um sich ein zweites Mal runterzustürzen – das ist keine Figur , die für irgend einen Genreeffekt geopfert wird, sondern das Bild einer in sich verstrickten, verzweifelten Kreatur, die völlig schutzlos allen Blicken ausgesetzt ist – unserem und dem der Voyeure im Film. Dieser doppelte Blick – der die Halluzination erzeugende und der auf das Opfer dieser Halluzination gerichtete – macht Polanskis Horror so erstickend, ausweglos und lähmend.
Back to the roots: Dass er sich in seinem neuen Film wieder den bösen Geistern zuwendet, könnte man nach den letzten Flops zunächst als eine Art Rückkehr sehen. In „Die neun Pforten“ spielt Johnny Depp einen auf die nicht ganz legale Beschaffung von kostbaren Büchern spezialisierten Abenteurer. Dean Corso, frei schwebender Antiquar ohne Antiquariat, bekommt von einem superreichen Satansforscher und Büchersammler namens Boris Balkan (sic!), einen merkwürdigen Auftrag. Er soll die Echtheit des angeblich von Luzifer höchstselbst verfassten Buches „Die neun Pforten ins Reich der Schatten“ aus dem 17. Jahrhundert überprüfen und dafür die außer Balkans Exemplar einzigen verbleibenden beiden Ausgaben in Europa untersuchen.
Wie sehr sich Polanskis Haltung verändert hat, zeigt bereits die erste Einstellung. Ein Mann sitzt in einer prachtvollen alten Bibliothek und bekritzelt ein Blatt Papier. Mit einem mächtigen Ruck fährt die Kamera von ihm weg auf einen Stuhl in der Mitte des Zimmers und von dort mit einem weiteren Ruck auf eine Schlinge an der Decke. Selbstmord!
Also das genaue Gegenteil von dem, was Polanskis Stil einmal ausgemacht hat – vom doppelten und damit zwiespältigen, nie wirklich zu verortenden Blick zur eindeutigen, redundanten, vergröbernden Sichtweise.
Wenn man so will, ist Redundanz auch das Leitmotiv von „Die neun Pforten“, wo die Bedrohung nicht mehr aus einem psychischen Zerfallsprozess erwächst, sondern aus der Hölle selbst hernieder steigt. Hier blickt das Böse düster drein, hier trägt das Gute die blonden Engelslocken von Emmanuelle Seigner, und die satanisch-pyrotechnischen Effekte sind so albern wie die zwei, drei gewollt coolen Gesichter, die Johnny Depp aufzusetzen bereit ist. Nach und nach pflügt sich Corso durch Europas verstaubte Bibliotheken, verfolgt vom eigenen Auftraggeber, von einer satanischen Sekte und einem nur auf den ersten Blick mysteriösen blonden Wesen, das hin und wieder durch die Lüfte schwebt. Dass Seigner der vom Himmel gesandte Schutzengel des Bücherdetektivs ist, wird ungefähr nach zwanzig Minuten klar, doch der Film muss es uns bis zur letzten Minute immer wieder von Neuem beweisen. Das Ganze endet mit einer apokalyptischen Sexszene zwischen dem Engel und seinem Schützling vor einer kathartisch brennenden Burgruine. Sieht aus wie die Erlösungsfantasie eines katholischen Softpornoregisseurs.
„Chinatown“, „Tanz der Vampire“, „Wenn Katelbach kommt“, „Ekel“ und „Der Mieter“ – Roman Polanski hat nun mal Filme gedreht, für die man ihm immer noch alles verzeihen muss. Auch wenn man sich inzwischen eigentlich nichts mehr von ihm erwartet.„Die neun Pforten“. Regie: Roman Polanski. Mit: Johnny Depp, Emmanuelle Seigner u. a. USA 1999. 132 Min.
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