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Der Knastbriefträger

Weihnachten 2000. Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, trägt, ein kleines Wägelchen mit der Aufschrift „JVA Berlin-Moabit“ vor sich her stoßend, die Häftlingspost aus. An Gesäß und Gewaltwanst spannt der Streifendress bedrohlich.

„Um Gottz wielln“, murmelt er, „jizz muss’ch zmm Krenz! Dss dumme Gerehtte wiettr!“ Und wirklich: „Was ich Sie schon immer mal fragen wollte, Herr Kohl“, schleimt Krenz zahnreich: „Wie haben Sie eigentlich den Job als Gefängnisbriefträger bekommen?“ Kohl verfällt ins „Nachdinkk’n“, wie er es nennen würde.“Für Ssie imm’r noch Dokter Kohl!“, sagt er dann. Krenz lachmeckert: „Zu mir sagt auch keiner Generalsekretär oder Staatsratsvors....“ – „Jetzt hör’nn Ssie zu“, bellt Kohl, „wie Ssie hier diffamierntt mit mir rehtt’n, dss kann sso nicht stattfientt’n! – Und den Posttn hahp ich, waili ich vond’n Süßichkaittn-Bimbes, die mir de Hann’ lore und Juliane immr bring’n, wss in die Zelle vom Weyrauch getrahkn hahp, und der hat mir dss Geltt aihknhänttich gewaschen, unt damit hahp’ch dann de Beamtt‘n bestoch’n!“

Krenz murmelt: „Und ich dachte schon, Sie hätten das Geld beim Immobilien-Schneider angelegt!“ Gewohnheitsmäßig entgegnet Kohl: „Dokter Schnaitt’r, Herr Krenttz; ahpr dss werttn Ssie wohl nie bekraihffn, Ssie mit Ihr’m alttn Dinkk’n! Mit ihrer sozjalistsch’n Klaichmacherai! Aaßerdemm wiss’s Ssie, dss ich mit Schwerverbrech’rn kainne Gechäfte mache!“

Kohl ist bei Dr.Jürgen Schneiders Zelle angekommen. „Postt aas der Schwaittz, aas’m Iran und vonnd’n Bahamas“, grummelt er. „Na, Doktor Kohl“, grinst Schneider, „immer noch sauer, weil Sie zu blöd waren, mal für sich selbst paar Millionen beiseite zu räumen, statt immer nur für ihren Penner-Verein da?“ Kohl errötet. „Ainnes Tahkes wirtt die Gechichte zaihkkn, wer vnn unss baihttn der Klühkere ist, Herr Dokt’r Chnaihtt‘r“, schnappt er. „Einmal schwach begabt, immer schwach begabt“, seufzt der obskure Immobilien-Stracholder.

Ein hoher Sirenenton erklingt. Hoppla. Nur mein Wecker. Schöner Traum das, schöner, schöner, schöner Traum das!

Klaus Nothnagel