Das lange Warten auf Japans sehr eilige Henker

In Japan wurden gestern trotz Protesten wieder zwei Todesstrafen vollstreckt

Tokio (taz) – Der wegen Raubmordes verurteilte 62-jährige Teruro Ono lag rund 6.600 Abende auf seiner Gefängnispritsche und musste damit rechnen, am nächsten Morgen erhängt zu werden. Gestern, nach 18 Jahren, wurde das Todesurteil vollstreckt. „Der psychische Druck über Jahrzehnte ist für die Häftlinge unmenschlich“, erklärte eine Sprecherin von amnesty international (ai) in Tokio. Bis zu 30 Jahre warten Todeskandidaten in japanischen Gefängnissen auf die Vollstreckung der Urteile. Dann, eines Morgens wird ihnen der Befehl des Justizministeriums vorgelesen und wenige Stunden danach folgt der Gang zum Galgen. Nicht nur die Häftlinge, sondern auch die Gefängniswärter sind einem enormen psychischen Stress ausgeliefert. Doch dieses unmenschliche Hinauszögern der Hinrichtung wird in Japans Öffentlichkeit verschwiegen.

Mit Ono wurde gestern auch der wegen Mordes verurteilte Kazuo Sagawa (48) im Polizeigefängnis Tokio hingerichtet. 50 Häftlinge – davon 4, die vor mehr als 25 Jahren verurteilt wurden – warten derzeit in Japans Gefängnissen auf den Henker. „Die Hinrichtungstage werden nach einem bestimmten Muster gewählt“, so ai. Meist würden Tage gewählt, an denen das Parlament ruhe, damit Politiker der Regierung keine unbequemen Fragen stellen könnten. Auch würde oft dann hingerichtet, wenn die Medien mit einem Großereignis abgelenkt seien.

Unter dem seit Sommer 1998 amtierenden Premier Keizo Obuchi sind bisher fünf Todesurteile vollstreckt worden. Seit 1993, als ein dreijähriges Hinrichtungsmoratorium aufgehoben wurde, wurden 39 Häftlinge am Galgen gehenkt. Amnesty international kritisiert außer der Beibehaltung der Todesstrafe die Behandlung der Todeskandidaten. Ihnen ist der Kontakt mit der Außenwelt verboten. Nur die engsten Angehörigen und der gesetzliche Vertreter dürfen an wenigen Besuchstagen kurz mit dem Verurteilten reden. Über die Hinrichtung werden die Angehörigen erst nach Vollstreckung informiert. „Der zu Tode Verurteilte wird in Japan sprichwörtlich bei lebendigem Leibe in einer Todeszelle begraben“, erklärt eine Aktivistin, die Angehörige betreut.

Auch die Gefängniswärter erleiden durch die Ungewissheit über das Vollstreckungsdatum psychischen Stress. Denn oft betreuen Wärter die Verurteilten jahrelang und lernen sie so auch persönlich kennen. Das veranlasste amnesty international Treffen mit betroffenen Wärtern zu organisiseren, damit sie offen über ihre Erfahrungen reden können.

Trotz des verstärkten internationalen Drucks will die Regierung ihr Vorgehen nicht ändern, geschweige denn die Todesstrafe abschaffen. Deren Befürworter verweisen auf die USA, wo sie auch angewandt wird. André Kunz