Entschädigung eines Pflichtarbeiters

Otto Graf Lambsdorff, einst wegen Steuerhinterziehung verurteilt, leistet mit seinem Erfolg bei den Entschädigungsverhandlungen auch eine Art späte Wiedergutmachung

Berlin (taz) – „Poker“, so wurden die Verhandlungen zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern charakterisiert – aber der deutsche Verhandlungsführer ist alles andere als ein Spieler. Er sei, so Otto Graf Lambsdorff, eher „der Opa fürs Grobe“.

Der 72-jährige Ehrenvorsitzende der FDP gilt als Mensch der klaren Worte, Taktieren war nie seine Sache. Die Äußerungen Lambsdorffs in den letzten Wochen hatten in der Tat eine eindeutige Linie: Die Wirtschaft müsse tiefer in die Taschen greifen, die Opferanwälte müssten sich mäßigen, und wenn beide nicht „zur Vernunft kommen“, so seine Worte, würden die Verhandlungen scheitern. Und er, der Moderator, gab den Marathon-Mann: „Ich werfe die Flinte nicht ins Getreide.“ Am Ende war es auch diese Zähigkeit, die die Parteien am Tisch hielt.

Als Bundeskanzler Schröder den erzliberalen „Marktgrafen“ als Nachfolger des weggelobten Kanzleramtsministers Bodo Hombach aus dem Hut zauberte, mischte sich in der Presse unter viel Anerkennung auch leises Wundern. Die guten Gründe waren schnell aufgezählt: Lambsdorffs internationale Kontakte, seine Professionalität, die persönliche Freundschaft mit dem US-Unterhändler Stuart Eizenstat wurden hervorgehoben. Und die guten Verbindungen zur deutschen Wirtschaft.

Wundern konnte man sich aber durchaus: Diese Kontakte bestanden jahrelang auch darin, dass Lambsdorff der deutschen Industrie half, ihre Parteispenden vor dem Fiskus zu verbergen. Doch die Zweifel, dass die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zu derselben seinen Ruf als Verhandler schädigen könnte, blieben schwach. Sogar heute, da die alte Spendenaffäre erneut ins Kollektivbewusstsein rückt, weil wieder Gelder ihren illegalen Weg in Parteikassen fanden, überdeckt Lob die schäbige Stelle im dicken Fell des Grafen. Was sind schon 1,5 Millionen Mark an illegal akquirierten Spenden gegen 10 Milliarden für NS-Zwangsarbeiter?

Auch die Empörung des Internationalen Auschwitz-Komitees verhallte folgenlos: Lambsdorff soll in den 50er-Jahren einer Amnestie für NS-Verbrecher das Wort geredet haben. Lambsdorff wischte die Anschuldigung beiseite, als eine „Mischung aus Dichtung und Wahrheit“ – und niemand bohrte nach. Des Grafen Verdienste wurden unzweifelhaft höher geschätzt als seine betagten Verfehlungen. Die Wirtschaft zeigte sich mit der Wahl des gelernten Juristen zufrieden, denn die Unternehmen erwarteten einen staatlich verlängerten Arm ihrer Interessen. Aber auch die Vertreter der Zwangsarbeiter lobten den Liberalen. Und Parteifreund Ignatz Bubis fand, eine kompetentere Persönlichkeit hätte sich kaum finden lassen. Zudem reist Lambsdorff, seit er der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung vorsitzt, nun auch in Sachen Menschenrechte durch die Welt.

War Lambsdorff ein geschickter Verhandler? Zunächst enttäuschte er beide Seiten: die Opfervertreter, indem er Ende September mit einem Sechs-Milliarden-Mark-Angebot in Washington einflog – und ungerührt verkündete, die Summe sei nicht verhandelbar. Desgleichen empörte sich aber auch die Wirtschaft – weil Lambsdorff nicht mit einem niedrigeren Angebot in die Verhandlungen gegangen war.

Richtig grantig wurden die Unternehmen, als Lambsdorff sich selbst noch als Eintreiber betätigte und weitere Firmen aufforderte, sich am Fonds zu beteiligen. Über einen Betrag für Einzelentschädigungen, der weniger als fünf Stellen habe, sei mit ihm nicht zu reden, erklärte er. Lambsdorff wollte 10.000 Mark für jeden KZ-Arbeiter, und er wollte keine regionale Abstufung – die Polen sollten so viel bekommen wie die US-Bürger. Die Kehrseite der Rigorosität: Es gibt Opfergruppen, die Lambsdorff nicht ernst nimmt. Daran, dass die polnischen Landarbeiter wahrscheinlich leer ausgehen werden, stößt der Graf aus westfälischem Adel sich nicht. Die Beschäftigung von Ostarbeitern in der deutschen Landwirtschaft, so definierte er, seien eine „natürliche historische Erscheinung“ gewesen. Die Polen waren brüskiert – geschickt kann man das wohl kaum nennen.

Auch hat diesmal nicht der Marktgraf allein die deutsche Wirtschaft mobilisiert, der er früher elegant Spendengelder aus den Börsen zog. Obwohl er sich den Wink nicht verkniff, die Spenden seien – diesmal legal – steuerabzugsfähig. Die Firmen blieben zögerlich. Es waren Druck und Boykottdrohungen der Öffentlichkeit, die einige wenige in den Fonds trieben. Wer letztlich kräftig drauflegt, ist der Staat.

Dennoch, Lambsdorffs beharrliche Bearbeitung beider Seiten wird von allen Beteiligten gelobt. Einen „Gentlemen“ nannte ihn der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck, der den Verhandlungen beiwohnte. Lambsdorff, der Marktgraf mit Makeln, hat sich zu seinem 73. Geburtstag am nächsten Montag einen späten Lorbeerkranz erhandelt. Er habe sich nicht nach dieser Aufgabe gestreckt, hatte er anfangs gesagt, das Pflichtbewusstsein treibe ihn. Man kann den Dienst auch als eine späte Wiedergutmachung seiner eigenen Verfehlungen sehen – die Otto Graf Lambsdorff nie ausdrücklich bereut hat. Was sind schon 1,5 Millionen gegen 10 Milliarden?

Heide Oestreich