piwik no script img

„Der Schuss kann nach hinten losgehen“

■ Heute verhandelt der Staatsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Volksbegehrens „Mehr Demokratie“, dass Volksentscheide in Bremen erleichtern will / Interview mit Ralph Kampwirth, Sprecher der Initiative

Darf der Verein „Mehr Demokratie“ seine Initiative für leichtere Volksentscheide in Bremen fortsetzen? Darüber verhandelt heute der Bremer Staatsgerichtshof. In anderen Ländern wie Bayern oder Hamburg wurden die Hürden für BürgerInnenbeteiligung bereits erheblich abgebaut. In Bremen dagegen war in den letzten 50 Jahren kein einziges Volksbegehren erfolgreich. Die taz fragte den Sprecher von „Mehr Demokratie in Bremen“, Ralph Kampwirth, nach Gründen für leichtere Volksentscheide.

taz: Wer hat den Gesetzentwurf ausgearbeitet, gegen den der Senat jetzt klagt?

Ralph Kampwirth: Der Gesetzentwurf wurde vom Verein „Mehr Demokratie“ ausgearbeitet. Der Entwurf wurde einer Reihe von Juristen vorgelegt. Zum Vorbild haben wir die Gesetzentwürfe aus anderen Bundesländern genommen, wo „Mehr Demokratie“ ebenfalls aktiv war oder ist: Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen.

Normalerweise bringt man Gesetzentwürfe über die Parteien ein, dann entscheidet die Bürgerschaft. Und wenn der Senat dann denkt, das sei verfassungswidrig, dann müsste er klagen.

Beim Volksbegehren ist es genau anders herum. Hier gilt die „präventive Normenkontrolle“: Das heißt, dass eine Rechtsprüfung stattfindet, wenn man den Zulassungsantrag für ein Volksbegehren stellt.

Den Gesetzentwurf will „Mehr Demokratie“ auch per Volksentscheid durchbringen – also unter genau den schwierigen Bedingungen, die Sie eigentlich kritisieren und abschaffen wollen.

Wir haben keine andere Wahl. Es gibt dabei zwei Grundgedanken. Einerseits finden wir es gut, wenn das Volk selber über die Mitbestimmungsrechte entscheidet. Unser Motto ist immer: Ein Volksentscheid über den Volksentscheid. Und zweitens gibt es in der Bremischen Bürgerschaft zurzeit einfach keine Mehrheiten für das, was wir fordern. 1994 wurden bei einer Verfassungsreform in Bremen zwar die Bedingungen für Volksentscheide schon erleichtert. Aber die Neuerungen waren nur marginal. Bundesweit sind aber inzwischen 70 Prozent der Bevölkerung für leichtere Volksentscheide.

In anderen Bundesländern hatten Sie mit ihren Initiativen bislang mehr Erfolg.

Das liegt am Senat der Freien Hansestadt Bremen, der unseren Antrag gestoppt hat. Damit wollte er uns wohl den Wind aus den Segeln nehmen, was vorerst auch funktioniert. In Bayern und Hamburg gingen unsere Vorschläge in eine ähnliche Richtung – dort gelangten unsere Initiativen zur Abstimmung und haben sich durchgesetzt. Das brachte natürlich eine ganz andere Resonanz als hier in Bremen, wo wir schon beim ersten Schritt – dem Antrag für ein Volksbegehren – am Senat gescheitert sind.

Was macht die Initiative, seitdem der Antrag auf Eis liegt?

Wir bereiten von Bremen aus eine Kampagne für den bundesweiten Volksentscheid vor. Das Bremer Büro nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Derzeit geht es viel um Strategiefragen, Werbung von Bündnispartnern und so weiter.

Ist das ganze eigentlich die Mühe wert, wenn man daran denkt, dass es Unterschriftenaktionen gab, wo eine Million Menschen unterschrieben und die dann in der Schublade verschwanden?

Ja, auf jeden Fall. Wenn man sich die demokratische Entwicklung der letzten 20 Jahre anschaut, muss man feststellen: Die Idee des Volksentscheids wird immer reifer. In Wissenschaft und Politik wird die Debatte inzwischen intensiv geführt. Auch in Juristenkreisen ist das so: Da gab es früher eine ganz große Ablehnung von direkter Demokratie. Mittlerweile sagen viele Juristen: Was ihr wollt, ist juristisch schon akzeptabel, man muss nur politisch klären, ob es dafür eine Mehrheit gibt.

Den Politikern ist es dennoch gelungen, die Unterschriftenerfolge von „Mehr Demokratie“ zu ignorieren. Laut Parteiprogramm von SPD und Grünen sollte die politische Mehrheit jetzt dafür bereit sein.

Rot-grün hat für die Bundesebene die Volksentscheide im Koalitionsvertrag aufgenommen. Aber wir haben immer das Problem mit Parteien: Solange sie in der Opposition sind, sind sie eher dafür, wenn sie in der Regierung sind, sind sie auf einmal dagegen. Da hat man also ein eher opportunistisches Verhältnis zur direkten Demokratie. Das trifft besonders auf die Sozialdemokratie zu. Dennoch hoffen wir, dass sich im Bundestag was tut. Bei Gesprächen mit CDU-Abgeordneten haben wir ein Umdenken bei den Christdemokraten bemerkt. Wir brauchen ja eine Zweidrittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung, wenn wir bundesweit Volksentscheide einführen wollen. In ein oder zwei Jahren ist eine Mehrheit vielleicht möglich.

Hat sich die Strategie von „Mehr Demokratie“ verändert? Bisher hat man doch versucht, von Bundesland zu Bundesland Siege zu erringen um von da aus in den Bund zu gehen?

Wir halten an der Länderstrategie fest. Derzeit laufen neben Bremen noch sechs weitere Volksbegehren von “Mehr Demokratie“: Drei in Bayern, eins in Baden-Württemberg, eines in Thüringen und eines in Nordrhein-Westfalen. Die Kampagne für den bundesweiten Volksentscheid startet im Frühjahr 2001. Wir arbeiten jetzt schon daran, um sie gut vorzubereiten. Wir sprechen mit Gewerkschaften, Umweltverbänden, der Wirtschaft – um sie alle in unser Boot zu holen und den entsprechenden Druck entfalten zu können. Bislang haben wir 32 bundesweite Bündnispartner gewinnen können. Wir schätzen, dass die Kampagne mindestens zwei Jahre dauern wird. Im Idealfall würde der Bundestag dann beschließen, dass es eine erste bundesweite Volksabstimmung über das Recht auf Volksabstimmung geben wird. Wenn das nicht geht, hoffen wir, dass der Bundestag selbst eine Regelung für Volksentscheide einführt.

Warum arbeitet sich die Initiative dann an einer Kleinstadt wie Bremen ab?

Gerade ein Stadtstaat wie Bremen eignet sich besonders gut für die direkte Demokratie. Die Klage des Senats gegen unser Volksbegehren ist extrem kurzsichtig. Letztlich handelt es sich bei der Klage um einen Angriff auf den Föderalismus. Denn der Senat bezieht sich auf das Grundgesetz und sagt: Die Länder seien nicht frei, die direkte Demokratie selbst zu gestalten, die Regeln gebe das Grundgesetz vor. Das widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das sagt, dass die Länder relativ frei mit der Gestaltung ihrer demokratischen Verfahren sein können, solange bestimmte demokratische Grundelemente gelten. Der Senat will also den Föderalismus beschränken. Der Schuss kann aber nach hinten losgehen: Wenn sich eine solche Argumentation auf anderen Politikfeldern durchsetzt, dann könnte es mit dem Föderalismus schnell Essig sein.

Ein anderes Argument ist, dass „Mehr Demokrtatie“ auch über Finanzfragen das Volk entscheiden lassen will. Da wird hemmungslose Finanzpolitik befürchtet.

Der Senat macht sich nicht die Mühe, auf die bereits bekannte Praxis zu schauen, wie sie in Bayern, der Schweiz oder den U.S.A. zu beobachten ist: Dort ist es gerade umgekehrt. Die Bürger sind sparsamer als die Politik. Aus dieser Sichtweise kann man argumentieren, dass es gerade jetzt gut wäre für Bremen, wenn die Bürger über Ausgaben mitentscheiden können. Das wäre für die Sanierung der Staatsfinanzen ein gutes Instrument.

Würden die Bürger Bremen als Bundesland abschaffen?

Nein, ich denke nicht. Mehr Bürgerbeteiligung könnte vielmehr zu einem Markenzeichen der Eigenstaatlichkeit Bremens werden. Überall dort, wo die Bürger stärker mitbestimmen, wächst die Identifikation mit dem Gemeinswesen. Aber auf diesem Auge ist der Senat bisher blind. Neunmal haben Bremer seit 1945 ein Volksbegehren versucht, alle sind gescheitert: Sieben mal wurden sie vom Senat als verfassungswidrig gewertet, zweimal kamen nicht genug Unterschriften zusammen. Das muss nicht so weitergehen. Fragen: Jan Kahlcke und Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen