Freier als Bäckerhefe. Vorläufig für immer

Auf Schloß Elmau suchten die kulturellen Hauptfraktionen mit Peter Sloterdijk einen „Ethik Codex der Anthropotechniken“. Während der Karlsruher Philosoph Selbstgespräche murmelte, definierten Naturwissenschaftler das „vernünftig Vertretbare“ ■ Von Sabine Leucht

Das Beste zuerst: Endlich hat jemand zur Genauigkeit im Umgang mit Begriffen gemahnt, auf die Wissenschaftler wie Philosophen begreiflicherweise bauen müssen, um an der Komplexität ihrer Gegenstände nicht zu verzweifeln. Solche Begriffe treiben zuweilen Leser und Zuhörer zur Verzweiflung. So geschehen in der viel zitierten „Menschenpark“-Rede, in der Peter Sloterdijk mit Schlagworten wie „Selektion“, „Züchtung“ und „Übermensch“ wohlfeile Munition lieferte für in unterschiedliche Richtungen ausfransende Horrorszenarien.

Manchmal aber geschieht das exakte Gegenteil: Dann umhüllen Begriffe das Bewusstsein mit Nebeln des Vertrauten, wo sie doch eigentlich alarmieren sollten: Der „genetische Code“ ist ein solcher Begriff. Sigrid Weigel warf die Frage in die Diskussion, was Metaphern der Les- und Programmierbarkeit über den Wandel des Menschenbildes aussagen. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin sprach so klug und klar, dass der männliche Rest des sechsköpfigen Podiums ein wenig blass aussah. Und das heißt schon was, denn auf Schloß Elmau – einsame Schneeinsel im gesamtbayerischen Regenfeld – trafen sich am Samstagnachmittag Sloterdijks „kulturelle Hauptfraktionen der Gesellschaft“, um dem anstehenden Jahrhundert der Biowissenschaften einen „Ethik Codex der Anthropotechniken“ zu offerieren.

Der hoffnungsfrohe Titel der von Rüdiger Safranski moderierten Podiumsdiskussion entstammt jener Rede, mit der der Karlsruher Schriftsteller-Philosoph vor einem halben Jahr am selben Ort ein nicht ganz neues Thema medienwirksam aufbereitet hatte. Und natürlich spendete der anwesende Sloterdijk der Presse wieder griffige Formeln zum Mitschreiben: Einen „hermeneutischen Hunnensturm“ und eine beispiellose „Wut des Flachlesens“ jubelte er den Journalistenkollegen diesmal unter. Und selbstverständlich ist auch ohne einen Ausfallschritt in Richtung Frankfurter Schule („Wacht am Main“) kein Sloterdijk-Auftritt mehr komplett.

Man versteht mittlerweile, wie Sloterdijk die Medien füttert, um sich dann über die Folgen öffentlich aufzuregen und stillschweigend zu amüsieren. Doch gibt es mittlerweile kaum noch Futter inhaltlicher Art. Jemand, der als „Signatur der Humanitas“ begreift, dass die Probleme der Menschheit für sie selbst stets zu schwer sind, dass für ihre Lösung ein Weiser oder Gott nötig sei, der aber nicht mehr zur Verfügung steht; so jemand hat zwar Recht, bekommt jedoch Schwierigkeiten mit den daraus zu ziehenden Konsequenzen. Wenn Sloterdijk viele strittige Punkte seines Urtextes nun als Science-Fiction markiert – „in die Situation des beginnenden Könnens, das sich selbst noch nicht meistert, hineingesprochen“ –, dann werden einige dies als Reaktion auf die aktuelle Debatte über die naturwissenschaftliche Inkompetenz des Denkers lesen (s. a. taz v. 17. 12.). Tatsächlich aber charakterisiert Sloterdijk damit recht treffend das Wesen seines Diskurses, der auch äußerlich immer mehr einem Selbstgespräch ähnelt. So murmelt er in Elmau sein Mikro an und schickt nur zwischendurch funkelnd-geringschätzige Blicke auf die Suche nach potenziellen Flachlesern im Publikum. Man müsse – sagt er dann irgendwie quer dazu – die Frage nach dem Wesen des Menschen à la Heidegger „hoch genug stellen“ und seinen Weg vom kreatürlichen „Geborenwerden“ bis zum Zur-Welt-Kommen als Mensch historisch hinterfragen.

In der Betonung des Historischen trifft er sich mit Professorenkollegin Weigel. Nur dass diese alle Versuche der Vermischung von Evolutionsbiologie und Kulturgeschichte problematisch findet und damit auch Sloterdijks umstandslosen Übergang vom humanistischen Zähmungs- auf den Züchtungsgedanken. Wie er will zwar auch sie die Frage nach dem Menschen neu stellen, mahnt jedoch ein „ursprüngliches“ Fragen an, das die Verfügbarkeit des menschlichen Lebens ins Zentrum stellt: Was zum Beispiel bedeutet es für das menschliche Selbstbild, wenn man einem Toten lebendige Organe entnimmt und Kinder im Reagenzglas zeugt?

Während die Geisteswissenschaftler an die Grenzen gemahnen, die längst überschritten sind, sieht die naturwissenschaftliche Fraktion sachlich nach vorn auf die Grenzen des Machbaren. Dabei streift sie allein den Titel gebenden „Ethik Codex“ als das, „was gegenwärtig vernünftigerweise vertreten werden kann“. So der Bioethiker Trutz Rendtorff. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, selbst Genetiker und Sachverständiger zu Risiken der Gentechnologie, bezeichnet den Menschen zwar als „Sklaven des Genoms“. Doch selbst wenn dieses genetische Basisprogramm bald vollkommen entschlüsselt ist – was uns von der „Bäckerhefe“ unterscheidet, ist die Wechselwirkung der Gene untereinander, ihr Zusammenwirken mit dem Gehirn und mit äußeren Faktoren. Und da all dies für den kognitiven Bereich besonders Bedeutsame wohl ewig unbekannt bleiben wird, hat der „neue“, klügere, nach dem Bildungskanon des Humanismus geformte Mensch als Züchtungsziel keine Zukunft.

Was aber, wenn das stillschweigende Ziel der biotechnologischen Entwicklung nicht eine neue Idealfigur wäre, sondern – so Weigel – die Beseitigung des „unreinen Ursprungs der menschlichen Herkunft“? Ein wenig scheint diese Idee schon zu bekannt, um wahr zu sein. Mehr als ethische Probleme berührt auch sie die Frage nach der menschlichen Freiheit, die einer Neudefinition bedarf aus dem Geiste der immer notwendiger werdenden Selbstbeschränkung. Für beides reicht das Wissen der Experten nicht. Man sollte, so Safranskis Schlusswort, eigentlich die Ungeborenen fragen, wie sie mit dem „wachsenden Anteil des Gemachten am Gewordenen“ klarkommen. Dass diese stumm sind, ist die schlechte Nachricht.