Die wahre Katastrophe hat niemals einen Namen

Warum sich die große Ölpest jeden Tag vollzieht – ohne Aussicht auf Änderung

Berlin (taz) – Die bekannten Katastrophen haben immer einen Namen: die „Amoco Cadiz“, die „Exxon Valdez“ und die „Braer“ waren Tankschiffe, die vor den Küsten und TV-Kameras der Industriestaaten spektakulär scheiterten. Die Bilder ölverklebter Vögel gingen um die Welt. Von 1983 bis 1993 flossen bei 40 schweren Tankerhavarien laut Statistischem Jahrbuch etwa drei Millionen Tonnen Rohöl in die Weltmeere.

Doch die regelmäßig wiederkehrenden Nachrichten von lokalen Unfällen verstellen den Blick auf die alltägliche und namenlose Katastrophe: die leise und anhaltende Verseuchung der Weltmeere durch die Förderung und den Transport des Erdöls. Jährlich gelangen nach Schätzung des US-amerikanischen National Research Council etwa drei Millionen Tonnen Öl ins Meer – ebenso viel wie bei den Havarien aus zehn Jahren. Das illegale Ausspülen der Tanks auf hoher See, Raffinerieabfälle, die in die Flüsse geleitet werden, und Schlampereien in den Ölhäfen bewirken eine andauernde Ölpest. Eine Änderung der Situation ist nicht in Sicht. Die Industriestaaten hängen trotz aller Bekenntnisse zu anderen Energieformen am Tropf des billigen Öls.

Westeuropa etwa produziert nur etwa 7 Prozent des Öls, verbraucht aber 20 Prozent. 3.500 Supertanker bringen jährlich über eine Milliarde Tonnen Öl von den Hauptexportländern Saudi-Arabien, Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu den Hauptimporteuren (USA, Japan, Deutschland) – sie sind der billigste Weg.

Die Tankschiffe gelten als eine gebrechliche Flotte: Die meisten Supertanker wurden Mitte der Siebzigerjahre ausgeliefert, nachdem der Weg durch den Suezkanal durch die Spannungen zwischen Israel und Ägypten als zu unsicher galt: Viele der Schiffe fahren heute noch, obwohl ein Tanker seine besten Zeiten nach 10 bis 15 Jahren hinter sich hat. Bereits 1995 wurde der Zustand jedes fünften Tankers als schrottreif eingestuft. Noch 1950 konnte ein durchschnittlicher Tanker 15.000 Tonnen Öl fassen. Inzwischen sind Ladungen um die 300.000 Tonnen keine Seltenheit. Und je mehr Öl an Bord ist, desto mehr Öl kann auslaufen. Außerdem sind die Supertanker schwer zu steuern, die Kommunikation an Bord leidet durch das „Ausflaggen“, die Registrierung der Schiffe in Ländern wie Panama oder Liberia. Die wenigsten dieser Riesentanker haben einen doppelten Rumpf, der zumindest einen gewissen Berstschutz verspricht.

Eines allerdings haben die Ölkonzerne aus den Tankerunglücken gelernt: Sie lassen ihre Schiffe nicht mehr unter dem Konzernnamen fahren. Allzu leicht waren bei der „Amoco Cadiz“ oder der „Exxon Valdez“ mit Amoco und Exxon die Verantwortlichen auszumachen. Bernhard Pötter