„Sie werden ihn umbringen“

Der Anwalt Frank La Rue will Efrain Rios Montt, den Schlächter der Mayas in Guatemala, vor Gericht bringen. Wegen Völkermordes. In seinem eigenen Land ■ Aus Guatemala-Stadt Toni Keppeler

In seinem Büro hängt ein Bild von Don Quijote. Der Ritter von trauriger Gestalt, der gegen Windmühlen kämpfte, ist so etwas wie sein Schutzpatron. Den oberflächlichen Vergleich mit dem Ritter lehnt Frank La Rue ab. Erstens ist der 47-jährige Anwalt nicht traurig, und zweitens will er keine sinnlosen Kämpfe ausfechten. Die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seinem Schutzpatron liegen tiefer: Beide sind sie auf eine subtile Art Männer der Vergangenheit. Quijote kämpfte im ausgehenden Mittelalter um absterbende Werte wie hehre Liebe und männliche Ehre. La Rue kämpft für Werte, die im neoliberalen Zeitalter virtueller Welten nicht mehr viel zählen: Wahrheit und Gerechtigkeit.

Doch wie Quijote könnte es auch La Rue passieren, dass er gegen Windmühlen anrennt. Aus Versehen. Der Mann ist fast blind. So kurzsichtig, dass er sich die Akten im Abstand von drei Zentimetern vor die dicke Brille hält, um die Buchstaben mit Mühe erkennen zu können. Er liest sich nicht in die Geschichte ein. Er hört und ertastet sie. La Rue arbeitet an einem Fall, der schnell in ein Himmelfahrtskommando umschlagen kann. „Sie werden ihn umbringen“, kommentiert eine zentralamerikanische Journalistin trocken. Der Anwalt will einen Mann zur Strecke bringen, der in Guatemala noch immer nicht angetastet wird: General im Ruhestand Efrain Rios Montt, anerkanntermaßen der blutigste unter den guatemaltekischen Diktatoren.

Selbst die unerschrockene Maya-Aktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú ging nach Spanien, ins Land des Pinochet-Jägers Baltasar Garzón, um eine Anzeige gegen Rios Montt einzureichen. La Rue will, dass der Alte in Guatemala vor Gericht kommt und dort wegen Völkermords verurteilt wird. Zusammen mit ihm soll wegen desselben Delikts Romeo Lucas García einfahren, Rios Montts Vorgänger im Diktatorenamt.

Wozu es in Chile der Amtshilfe der früheren Kolonialmacht bedurfte, soll in Guatemala aus eigener Kraft geschafft werden. Den Fall Pinochet lässt La Rue nicht einmal als Vorbild gelten. Er arbeitet schon fast zwei Jahre an der Klage. Länger also, als der chilenische Schlächter im Londoner Hausarrest sitzt. Sein Antrieb kommt eher aus einem Unbehagen, das Wahrheitskommissionen von Chile über Südafrika bis nach Guatemala zurückgelassen haben: Das Recht auf Wahrheit ist nicht das einzige, das die Opfer haben. „Wenn Wahrheit um den Preis der Gerechtigkeit gekauft wird, wie das in Südafrika der Fall war, dann ist dieser Preis zu hoch“, sagt er.

Für La Rue haben Opfer von Unrechtsregimen drei prinzipielle Rechte: auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und auf Entschädigung. Das erste Recht wird gemeinhin mit den Wahrheitskommissionen abgegolten. Für Entschädigungen ist in Ländern wie Guatemala nie Geld vorhanden. „Und das mit der Gerechtigkeit ist ein schwieriger Balanceakt.“

Im guatemaltekischen Bürgerkrieg wurden von 1962 bis 1996 mehr als 200.000 Menschen umgebracht. „Wir können unmöglich alle Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Und wir können auch nicht die Armee als Ganzes anklagen. Das würde nur einen neuen Staatsstreich provozieren.“ Also bleibt nur das, was La Rue „symbolische Gerechtigkeit“ nennt.

Moralisch sind Lucas García und Rios Montt längst verurteilt. Der Abschlussbericht der guatemaltekischen Wahrheitskommission, Ende Februar dieses Jahres veröffentlicht, stellt fest: In der Regierungszeit der beiden Diktatoren (1978 bis 1982 und 1982 bis 1983) fand ein Völkermord an der indianischen Bevölkerungsmehrheit des Landes statt, „von höchster Ebene“ angeordnet. „Doch die historische Wahrheit und die juristische Wahrheit, das sind zwei ganz verschiedene Dinge“, sagt der Anwalt.

Als historisch gesichert gilt, dass alleine unter Rios Montt mehr als 400 Maya-Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, um der Guerilla potenzielle Unterstützer zu entziehen. Genauso ist historisch anerkannt, dass die guatemaltekische Armee mehr als 600 Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hat. La Rue will nun die juristische Wahrheit von 25 Massakern unter Lucas García und weiteren 25 Massakern unter Rios Montt herausfinden. „Das sind zusammen fünfzig Exhumierungen. Wir brauchen die materiellen Beweise, wir brauchen die Gebeine, und wir brauchen Zeugen. Nur so können wir ein Muster im Vorgehen aufzeigen. Und nur so können wir nachweisen, dass dahinter die Intention steckte, eine soziale Gruppe auszulöschen.“

La Rue spricht gerne in der Mehrzahl. Er sieht sich nicht als Einzelkämpfer. Auch nicht als Mitglied „einer Gruppe von verrückten Anwälten, die sich mit einem Völkermordfall international einen Namen machen will“. Er nimmt den Namen Garzón nie in den Mund. Und trotzdem macht er klar: Sein Stil ist ein anderer.

„Wir machen nichts, was die Betroffenen selbst nicht wollen. In manchen Gemeinden wollen die Hinterbliebenen nur das Massaker dokumentiert haben. Sie wollen die Leichen finden und sie ordentlich beerdigen. Sie wollen Todesurkunden, um wenigstens rechtmäßige Erben sein zu können. Aber weiter wollen sie nicht gehen. Ich respektiere das. Ich bin nur ihr Anwalt.“ Die meisten aber wollen mehr. Sie wollen wissen, wer die Verantwortlichen sind. „Und daraus schnüre ich ein juristisches Paket.“

Ein solches Paket ist in Guatemala hochexplosiv. Die Militärs haben zwar 1986 die Regierung an Zivilisten weitergereicht. Die Macht aber blieb bei ihnen. Heute sogar ganz legal. Die von Rios Montt gegründete „Republikanisch-guatemaltekische Front“ (FRG) gewann bei der Parlamentswahl Anfang November die absolute Mehrheit. Rios Montt selbst war Stimmenkönig und wird voraussichtlich der nächste Parlamentspräsident sein. Präsident werden durfte er nicht. Die guatemaltekische Verfassung verbietet ehemaligen Putschisten eine Kandidatur um dieses Amt. Dafür wird seine Marionette Alfonso Portillo mit hoher Wahrscheinlichkeit am 26. Dezember die Stichwahl um das höchste Staatsamt gewinnen.

La Rue scheint das egal zu sein. Mit der Unterstützung politischer Parteien rechnet er ohnehin nicht. Nicht einmal auf die zur Partei gewandelte ehemalige Guerilla der URNG will er zählen, der er einmal ziemlich nahe gestanden hat. Während der Friedensverhandlungen war er eine Zeit lang ihr Berater in Menschenrechtsfragen. Inzwischen aber hat er mit ihr gebrochen. Das wurde spätestens in diesem Frühjahr offenbar: La Rue führte die erste Menschenrechtsklage gegen die URNG. Ein Guerillero und zwei Guerilleras waren im Bürgerkrieg von der Armee verhaftet, gefoltert, vergewaltigt worden. Sie konnten entkommen. Doch es nützte ihnen nichts. Sie wurden in einem Ausbildungslager der URNG in Nicaragua erschossen, weil man sie für Spione des Feindes hielt. „Die drei Mütter kamen zu mir und wollten, dass ich ihnen helfe. Sie wollten, dass die URNG ihre Schuld eingesteht und die Überreste übergibt. Nenn es menschliche Schwäche. Aber ich konnte einfach nicht Nein sagen.“

Weit mehr als von politischen wird La Rue von moralischen Überzeugungen getrieben. Schon seine Mutter, sagt er, hätte ihn, das Oberschichtskind, für das Los der Armen sensibilisiert. An der Jesuiten-Oberschule, die er besuchte, wurde das vertieft. Politik kam erst später, an der Universität, als Anwalt des Gewerkschaftsdachverband CNT und dann im Exil in Washington. Machtpolitik hat ihn dabei nie interessiert. „Die URNG“, sagt er, „hat einen Pakt mit der Regierung geschlossen.“ Am Ende wurde nur noch auf höchster Ebene verhandelt. „Sie haben sich nicht einmal mehr mit ihren eigenen Kadern beraten. Geschweige denn mit Basisorganisationen.“ Das ist für La Rue die Bruchlinie. „Basisorganisationen dürfen nicht zu Instrumenten einer Partei werden.“

Ob La Rue mit seiner Klage Erfolg haben wird, steht dahin. Rios Montt ist Parlamentsabgeordneter und genießt als solcher Immunität. „Wir werden den Antrag stellen, sie aufzuheben. Das wird sicher eine sympathische Debatte.“ Erst wenn in Guatemala alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, will La Rue sich an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Ricas Hauptstadt San José wenden. „Und dann gibt es auch noch in Belgien und Spanien Leute, die an einer internationalen Klage Interesse haben. Man muss alle Möglichkeiten ausschöpfen.“ Er hat auch nichts dagegen, dass Rigoberta Menchú vor kurzem schon einmal eine Klage in Spanien eingereicht hat. Aber er sagt das so, dass klar ist: Die guatemaltekische Lösung ist ihm die allerliebste. Auch wenn es die allergefährlichste ist. „Es ist seltsam. Aber bislang gab es keine Drohungen. Wir werden sehen.“ Ob er alle Zeichen sehen wird, kurzsichtig, wie er ist?