„Solche Überlegungen sind nicht populär“

Auch in Österreich steht die Frage einer Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter auf der Tagesordnung. Noch ist die Diskussion eher verhalten, dennoch ist das Unrechtsbewusstsein gewachsen ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Die deutsche Regelung über den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter hat das Thema auch in Österreich wieder auf die politische Agenda gesetzt. Doch für die derzeit provisorische Regierung könnte die Entschädigungsfrage nicht ungelegener kommen. Dementsprechend verhalten wird in diesen Tagen hier zu Lande über die Ansprüche der Arbeitssklaven während des NS-Regimes diskutiert. Nationalratspräsident Heinz Fischer, der dem linken Flügel der SPÖ zugerechnet wird, ist dennoch überzeugt, dass die Lösung der Frage eine zentrale Aufgabe der nächsten Regierung sein muss.

Von Zwangsarbeit profitiert haben vor allem die VA-Stahl, Nachfolgerin der Hermann-Göring-Werke, in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, und die Magna AG des austrokanadischen Milliardärs Frank Stronach, der die Steyr-Werke geschluckt hat. Gegen beide Unternehmen wurden bereits Sammelklagen eingereicht. Die VÖEST-Alpine, wie die Hermann-Göring-Werke später hießen, war in der Nachkriegszeit das Flaggschiff der verstaatlichten Industrie. VA-Stahl ist eines der zwecks Privatisierung ausgegliederten Teilunternehmen. Vorstandsmitglied Wolfgang Eder, der eine lange Debatte vermeiden möchte, schlug einen Opferfonds zur Abfindung der überlebenden Zwangsarbeiter vor, obwohl wegen Verjährung „rechtlich gesehen eigentlich keine Ansprüche“ gestellt werden könnten. Deswegen sind frühere Vorstöße ehemaliger Zwangsarbeiter bisher auf kühle Ablehnung gestoßen.

Die Bereitschaft der österreichischen Banken, die arisierten Konten herauszurücken, hat jedoch einen Präzedenzfall geschaffen. Die rasche Restitution von Kunstschätzen an die Rothschilds und andere jüdische Familien hat gezeigt, dass das Unrechtsbewusstsein in der Staatsverwaltung gestiegen ist. Eine letztes Jahr geschaffene Historikerkommission hat sich denn auch für die Zwangsarbeiter zuständig erklärt.

Simon Wiesenthal, der Gründer des Jüdischen Dokumentationszentrums, setzt sich schon lange für 20.000 ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen ein. Für Ariel Muzicant, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, sollte „Österreich nun dringend nach einer Einigung suchen. Denn sonst kommen die Anwälte, und die werden Erfolg haben“. Der auf Sammelklagen spezialisierte US-Anwalt Michael Hausfeld, gestärkt durch den Erfolg in Deutschland, hat Österreich längst im Visier. Spätestens im Frühjahr will er österreichische Unternehmen mit Klagen überziehen.

Rund 700.000 Gefangene wurden während der NS-Zeit in der so genannten Ostmark zwangsweise zu Arbeitsdiensten eingesetzt. Sie machten Österreich erst zu der Industrienation, die nach dem Krieg ein ungeahntes Wohlstandsniveau erwirtschaftete. Man geht davon aus, dass ein Zehntel von ihnen noch am Leben ist. Die meisten in Polen, der Ukraine und Russland. Neben den Großbetrieben VA-Stahl, VA-Tech und Böhler Uddeholm, die alle aus der VÖEST hervorgingen, und dem Motorrad- und Lkw-Hersteller Steyr-Daimler-Puch gibt es in der Bauindustrie und der Elektrowirtschaft zahlreiche Betriebe, die sich im Krieg der Sklavenarbeit bedienten. Ein großer Teil der Zwangsarbeiter war aber auch in der Landwirtschaft eingesetzt. Deswegen ist es schwer vorstellbar, dass man die Überlebenden dieser Branche leer ausgehen lässt.

Der ehemalige zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser (ÖVP), der mit Zwangsarbeitern in Kontakt steht und als Vermittler der Regierung für zukünftige Verhandlungen im Gespräch ist, fühlt sich angesichts der bisher betriebenen Hinhaltetaktik unwohl. Sein Vorschlag, die Entschädigungszahlungen über den Nationalfonds für NS-Opfer abzuwickeln, fand in der letzten Regierung keine Gegenliebe. Er kann sich aber auch eine Stiftung wie in Deutschland vorstellen und verlangt, dass die Regelung in das nächste Koalitionsabkommen aufgenommen wird. Doch weiß er: In Zeiten angedrohter Sparpakete und heikler Koalitionsverhandlungen, „sind solche Überlegungen nicht sehr populär“.