Der Sender der Rentner

■ Kabel 1 schreibt schwarze Zahlen, das biedere Programm ersetzt die Videothek und macht Senioren wie Leo Kirch glücklich

Der Stolz der Familie zu sein, ist für den Kabel 1-Geschäftsführer Nicolas Paalzow sicher ein Kinderspiel. Die Rolle des braven Sohnes scheint dem 32-Jährigen Berliner auf den Leib geschneidert: Jugendlich-dynamisch, dabei höflich und seriös kommt er im grauen Anzug hinter seinem Schreibtisch hervorgesprungen und freut sich erst einmal verlegen über das Interesse der taz an seinem Sender.

Mit dezentem Stolz verrät Paalzow das unfassbare Geheimnis seines Erfolges: „Wir haben gute Programme angeboten, und gute Programme werden gerne von den Zuschauern gesehen.“ Erfolg bedeutet für Kabel 1 sechs Prozent Marktanteil, und zwar unter allen Fernsehzuschauern ab drei Jahren.

„Wir machen nichts, wofür wir uns schämen müssten“

Seit Sendebeginn 1992 hat das 100%-Tochterunternehmen der Pro Sieben Media AG diese Quote erstmals im November 99 erreicht. RTL 2 und Vox, die direkten Konkurrenten in der zweiten Generation der Privatsender, die im Gegensatz zu Sat.1 und RTL nicht Mitte der Achtziger- sondern Anfang der Neunzigerjahre auf Sendung gingen, kamen lediglich auf 4,2 bzw. 2,9 Prozent. Das öffentliche Geheimnis dieses Erfolges ist vor allem, dass Kabel 1 absolut komplementär zum Muttersender Pro 7 läuft, soll heißen: Alle Zuschauer, die nicht Stefan Raabs „TV total“ oder „Akte X“ gucken wollen, soll Kabel 1 auffangen mit „Glücksrad“ und „Edgar Wallace: „Das indische Tuch“ (1963).

Das gelingt Paalzow mit lediglich 40 Leuten hervorragend. Unscheinbar operieren sie auf eineinhalb grauen Etagen aus dem grauen Herzen der Pro Sieben Media AG in Unterföhring bei München. Der raffinierte Trick dabei ist, dass Kabel 1 einerseits seit über einem Jahr unter dem Motto „Die besten Filme aller Zeiten“ kostengünstig die Bestände von Leo Kirchs Filmarchiv recycelt und dabei mit Schinken wie „Der Graf von Monte Christo“ immer wieder richtig Quote macht. Hinzu kommt, dass der Vorabend mit der erfolgreichen Wiederverwertung von Gameshows wie „Geh auf’s Ganze!“ und „Glücksrad“ vollgepackt wurde. Und im restlichen Programm laufen, neben 15 Minuten Nachrichten pro Tag, die beliebtesten Uralt-US-Serien in der Endlosschleife: „Perry Mason“ (1963), „Unsere kleine Farm“(1981), „Mash“ (1983), „Matlock“ (1990) oder „Die Straßen von San Francisco“ (1972). Insgesamt also ein Programm, ähnlich spannend und kritisch wie Reader’s Digest. Kein Wunder, dass Kabel 1 mit seinem Geriatrie-TV zum Seniorensender avancierte. „Nichts, wofür wir uns schämen“, so Paalzow auf Nachfrage. Öffentlich darüber gesprochen wird allerdings nicht. Die für Werbekunden interessanteste „Kernzielgruppe“ sind nun mal die 14- bis 49-Jährigen, von denen Pro 7 und Kabel 1 zusammen inzwischen schon 20 Prozent auf ihre Seite ziehen konnten. Kabel 1 alleine erreichte von dieser Gruppe im November aber nur 5,8 Prozent, unter den Zuschauern ab 50 hingegen 6,7.

„Noch früher, noch länger und noch mehr Geld“

Erst unter den Geschäftsführern Ludwig Bauer (Pro Sieben Media AG) und Nicolas Paalzow, der zuvor schon drei Jahre lang Programmchef war, scheint Kabel 1 endlich sein Profil gefunden zu haben. Erfolglos hatte sich der Sender, der auch mal „Kabelkanal“ hieß, zuvor schon mit Kinderfernsehen und 20-Uhr-Nachrichten probiert. Dementsprechend setzt Paalzow nun fürs nächste Jahr auf Bewährtes. „Geh auf’s Ganze!“ und „Glücksrad“ werden auf „XXL“ aufgeblasen: „Noch früher, noch länger, noch mehr Geld“.

Außerdem gibt es die zwei neuen und aufregenden Info-Magazine „Abenteuer Auto“ und „Abenteuer Leben“, die zwei Abendserien „MacGyver“ und „Pensacola – Flügel aus Stahl“ und natürlich etliche Spielfilmklassiker wie „Ben Hur“, „Ödipussi“ oder „Frühstück bei Tiffany“. Mit „Kabel 1 ersetzt die Heimvideothek“ bringt der Geschäftsführer das Konzept auf den Punkt. Damit an Segen aber nicht genug. Als Weihnachtsgeschenk beschert der Sender seinen treuen Zuschauern ab morgen nach fünf Jahren wieder sein altes Logo: den Kringel mit der 1 – statt ohne. 1994 hatte die ARD dagegen geklagt, weil sie ihr Markenzeichen, die 1, missbraucht sah. Tattrige Senioren könnten die Kringel-1 ja mit der ARD-1 verwechseln und sich irgendwann gar nicht mehr wundern, dass statt der „Tagesschau“ das „Glücksrad“ läuft. Der Bundesgerichtshof teilte die Bedenken der ARD jedoch nicht und entschied im Oktober zu Gunsten von Kabel 1.

Noch unbehinderter kann der kleine Sender also künftig seinen Aufstieg fortsetzen, sodass Paalzow zuversichtlich ist: „Ich sehe Kabel 1 langfristig in einer Klasse für sich, zwischen erster und zweiter Liga der Privatsender.“ Falls Kabel 1 nicht schon längst der Lieblingssender von Leo Kirch (Baujahr: 1926) sein sollte, dann dürfte wohl spätestens diese Aussicht den Patriarchen mit Zufriedenheit erfüllen.

Ania Mauruschat