Du sollst dir kein Bildnis machen
: Anthropologische Zumutung

Im Rahmen der kindlichen Sozialisation sind Verbote ja eine vergleichsweise vertraute und übersichtliche Angelegenheit. Schließlich hat man, lange bevor einem erklärt wird, dass man anderen Leuten nichts wegnehmen, sie nicht anlügen oder umbringen darf, bereits einschlägige Erfahrungen gemacht: Nur gucken, nicht anfassen! Keine Erbsen in die Nase stecken! Hier jetzt nicht hüpfen! Legislative, Judikative und Exekutive sitzen im Wohnzimmer und heißen Eltern.

Im Prozess des christlichen Religionserwerbs wird der Kreis dieser Kontrollorgane dann um Gott erweitert. Eigentümlicherweise steht dabei die Methode der Unterweisungen, die narrativ angelegt ist, in einem eigentümlichen Widerspruch zu der privilegierten Stellung des zweiten Gebotes im Gesetzeskatalog. Denn dass man sich kein Bildnis machen soll, sagt einem zunächst mal keiner. Vielmehr wird man bis zur Erreichung der Ungläubigkeitsaltersgrenze ausgesprochen detailreich und durchaus unterhaltsam über Wesen und Wirkung und alle anderen Gebote des christlichen Gottes unterrichtet: Er hat die Giraffen gemacht und das Meer, den Sand und die Wolken; er wohnt im Himmel zusammen mit Engeln, will nicht, dass man Sonntags arbeitet, und beobachtet alles. Man kann ihn zwar nicht sehen, aber, so macht man uns glauben: Er hat uns nach seinem Ebenbild erschaffen, und er hat einen menschlichen Sohn.

Kein Wunder also, dass man bereits als durchschnittlich begabter Dreijähriger ebenso legitim wie eklatant gegen das zweite Gebot verstößt. Wer sollte sich auch nach all diesen Informationen einen Vater, dem er ähneln soll, nicht vorstellen als einen älteren Herrn mit Ohren, Nase und Bart?

In diesem Sinne ist das christliche Bilderverbot eine anthropologische Zumutung, vergleichbar nur der Aufforderung, an nichts zu denken. Der Mensch braucht Bilder, sie kommen ihm, es ist sein Wesen, sich die Dinge vorzustellen. Und bis zur Befähigung, Gott als abstraktes Prinzip anzuerkennen, ist es nur menschlich, sich ein Bild zu machen.

Auch die Kirche hat sich um dieses Gebot wenig geschert, sondern vielmehr und ganz im Gegenteil die abendländische Kunstgeschichte ermöglicht. Spätestens seit Erfindung der Zentralperspektive ließ sich die Hl. Dreifaltigkeit repräsentativ auf Kirchendecken bannen. Die gebotswidrig bestellten Bilder, Altäre und Skulpturen künden unbeirrt von der Pracht des Himmels und den Schrecknissen der Hölle – im Dienste kollektiver Vergewisserung, Verheißung und Disziplinierung.

Immerhin, und das ist vielleicht sein (guter) Sinn, soll dieses zweite Gebot die Schaffung eines für alle verbindlichen Goldenen Kalbs verhindern und jedem die Möglichkeit geben, sich einen eigenen Begriff von Gott zu machen. Gelungen ist das nicht: Mit dem Kruzifix hat sich die christliche Kirche ein Symbol geschaffen, in dessen Name Schlimmeres entstand als ein verbotenes Bild von Gott. Barbara Häusler