Was fehlt
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Wie oft hat man sich nicht schon gewünscht, an Weihnachten zu flüchten? Und dann ist es fernab der Lebkuchen und Glühweinbuden doch nicht so einfach. Die taz-KorrespondentInnenüber Dominosucht, Kältesehnsucht und Heimweh

Dominosteine. Zuerst beißt man die unterste braune Etage ab. Dann kommt die glibbrige Geleeschicht. Zum Schluss das Marzipan. Und alles mit Schokolade versüßt. Dominosteine! Doch – es gibt sie nicht! Es ist keineswegs der Alkohol, wie die Redaktion vorsichtshalber mal gleich unterstellte, der unterm schwedischen Weihnachtsbaum vermisst wird. Den kann ich ja kaufen, will ich mich angesichts der taz-Honorare unbedingt finanziell ruinieren. Seit die Satelittenschüssel auf 19 Grad Ost eingeschwenkt wurde, fehlt auch weder die „Sendung mit der Maus“, noch die „Augsburger Puppenkiste“ länger im Kulturangebot.

Nein, was fehlt, sind hier ungebräuchliche aber seit frühester Kindesheit unverzichtbare Weihnachtsleckereien. Lebkuchen und Christstollen entstehen mittlerweile ab Ende November in durchaus akzeptabler Qualität in der eigenen Backröhre. Doch ausgerechnet alle Versuche mit ersatzproduzierten Dominosteinen sind kläglich gescheitert.

Dabei ist der Dominosteinmangel nur ein Symptom für das grundsätzliche Versagen der deutschen Exportindustrie. Keiner der schwedischen KollegInnen auf Auslandsposten hat ein vergleichbares Problem. Das nächste Ikea-Warenhaus ist nie weit. Der Möbelpionier aus Småland hatte schnell erkannt, dass es mit Billy und Sten allein nicht getan ist. Überall gibt es die von allen AuslandschwedInnen heiß geliebte Ecke mit trockenen Plätzchen, die speziellen Fleischbällchen, Knäckebroträdern, Kaviarersatz in der Tube, giftgrünen Marzipanpralinen und verfaultem Fisch in der Dose.

Doch was begegnet einem als Zeichen deutscher Exportbemühungen in Schweden? Die Niederlassungen von Autofirmen.Doch solange die nichts tun und auch Aldi die vor Dänemark gestoppte Expansion nicht weiter vorantreibt, bleibt nur das Warten auf Schwiegermutters Weihnachtspäckchen.

Eingewickelt in die jährlichen Schlafanzüge für die Kinder haben sie immer gelegen und müssen sie auch dieses Jahr liegen: zwei Packungen Dominosteine. Für Lennart und Janik stehen angesichts ihres dominosteinsüchtigen Vaters mal wieder überaus einträgliche Tauschgeschäfte an.

Reinhard Wolff, Stockholm

Dunkelheit. Weihnachten? Familienstreit, Konsumterror, Geschenkeflut, gereizte Menschen, Kälte! Selbstverständlich habe ich es jahrelang gehasst und mich dem verabscheuten Fest der Liebe verweigert. Das gehörte zum guten Ton im Berlin der 80er Jahre. Und immer habe ich davon geträumt, ganz weit weg zu sein, da, wo die Sonne scheint und die Menschen besser gelaunt sind. In Afrika zum Beispiel.

Jetzt laufe ich mit meiner kleinen Tochter durch Südafrikas klimatisierte Shopping-Malls. Bei jedem der riesigen Weihnachtsbäume quietscht sie vor Vergnügen, „uih, uih“, und weiß vor Aufregung gar nicht mehr, wo sie zuerst hinrennen soll. Mit dem zielsicheren Gespür von Anderthalbjährigen hat sie auch sofort erkannt, dass bunt eingepackte Geschenke ausschließlich für sie und zum Aufreißen bestimmt sind. Zwar weiß sie noch nicht, was Weihnachten ist, aber wir feiern es natürlich. Natürlich da, wo alle Südafrikaner am liebsten um diese Jahreszeit sind: in Kapstadt.

In Südafrikas Konsummeilen mangelt es einem an nichts, was vorweihnachtlichen Kommerz angeht. Es gibt Bäume, Schmuck, Weihnachtsmusik und Weihnachtsmänner. Die Experten fahren kurz vorher noch einmal nach Namibia, wo man richtige deutsche Lebkuchen und Christstollen erstehen kann.

Allein, der wahre Genuss ist das alles trotzdem nicht. Bei Temperaturen von mehr als 30 Grad klebt es einem schier die Zähne zusammen, und nach mehr als drei Plätzchen wird mir schlecht. Weihnachten in Südafrika findet im Hochsommer statt, mein ganzer Traum also. Warum will nur nicht die rechte Stimmung aufkommen? Die Kerzen am Baum sind meist vor Hitze umgeknickt, bevor man sie überhaupt angezündet hat, der Baum ist aus Plastik oder bestenfalls eine struppige Pinie, und bis es endlich dunkel ist, sind die Kinder längst durchgedreht. Also lieber gleich an den Strand gehen und den Sonnenuntergang anschauen. Und dabei von richtig deutscher Weihnacht träumen, ganz weit weg, mit Dunkelheit und Schnee und duftenden Bäumen mit brennenden Kerzen. Aber pssst, nicht weitersagen!

Kordula Doerfler,

Johannesburg

Schnee und Eis und klirrende Kälte. Daran fehlt es am meisten in Irland. Das Klima auf der Grünen Insel ist wegen des eintönigen Golfstroms ausgeglichen, zwischen Sommer und Winter herrschen kaum Temperaturunterschiede. Der 25. Dezember soll manchmal sogar wärmster Tag des Jahres sein, behaupten die Iren, und das ist vermutlich nur geringfügig übertrieben. Was das Wetter betrifft, so ist nichts langweiliger als Weihnachten bei Nieselregen und 10 Grad plus. Wischiwaschiwetter eben.

Minus 20 Grad dagegen – damit kann man doch etwas anfangen. Die Flüsse und Seen sind zugefroren, man schnallt sich Schlittschuhe an und huscht auf dem Eis herum. Früher waren wir auf dem Berliner Halensee, sobald das Eis dick genug war. Über das Eis kam man ganz dicht an die Prachtvilla des Preußenprinzen heran, die am Südufer lag, und konnte sich über den Erbprunker ärgern.

Wenn man dann so richtig durchgefroren war, ging es zum Weihnachtsmarkt, eine geniale Einrichtung für eine ganzheitliche Weihnachtserfahrung: Holzspielzeug zum Anfassen, Lebkuchenduft für die Nase, Weihnachtslieder für die Ohren, Weihnachtsmänner und Tannenbäume für die Augen – und Glühwein für den Geschmackssinn. Ein Glas davon wärmt langsam den Bauch von innen, ein wunderbares Gefühl. Ein zweites Glas dehnt sich im Oberkörper aus, das dritte geht in die Beine, und das vierte steigt zu Kopf. Zwischendurch ein paar Lebkuchen vom Nachbarstand, und die Prozedur beginnt von vorne, diesmal prophylaktisch, damit die Kälte nicht wieder in die Knochen kriecht. Bei minus 20 Grad gilt man als Naturbursche, wenn man es draußen stundenlang mit Glühwein aushält. Bei plus 10 Grad gilt man als Säufer.

Ralf Sotscheck, Dublin

Weihnachtsstimmung. Mit Pfefferkuchengewürz, das die Schwester aus Deutschland schickt, und einem Tannenbaum, den unser Blumenladen für die Ausländer im Viertel führt, lassen sich auch in Peking in den eigenen vier Wänden alle väterlichen Weihnachtsträume unproblematisch verwirklichen.

Doch sobald ich auf die Straße trete, ist alles vorbei: Da kommt mir das Pfefferkuchenbacken mit meinen Kindern lächerlich vor, weil es doch beim Straßenbäcker vor unser Haustür jeden Tag wunderbar frisches Mantou, ein nordchinesisches Weizenbrot, zu kaufen gibt. Und auch der mit Engeln aus dem Erzgebirge geschmückte Weihnachtsbaum in unserem Wintergarten will mir nicht mehr recht gefallen, wenn ich durch die Platanen- und Akazienalleen unserer Nachbarschaft streune.

Je näher die Festtage rücken, desto befremdlicher erscheinen sie. Warum überhaupt Weihnachten feiern? Die Kinder sind vielleicht nur eine Ausrede. Ich könnte umsteigen und statt der ewigen Pfefferkuchen Maultaschen zum chinesischen Neujahrsfest bakken. Auch der Weihnachtsbaum ließe sich durch ein japanischen Neujahrsgesteck aus Bambus und Kiefernzweigen ersetzen. Möglicherweise würde es mir dann während der nächsten Tage besser gehen. Ich spürte weniger von der Unvereinbarkeit zwischen meiner Kindheit und der meiner Kinder, würde weniger vermissen. Doch dann ist Weihnachten, und die Pfefferkuchen sind braungebacken, und der Weihnachtsbaum leuchtet. Kaum eine andere Feier kann ich für einen Siebenjährigen und eine Dreijährige glaubwürdiger inszenieren.

Damit stellt sich auch wieder ein bisschen Zufriedenheit ein. Und hinterher weiß ich, dass ich mit den Widersprüchen unseres Fremdseins leben kann. Dass ich vermissen kann, ohne darunter so zu leiden, dass ich alles aufgeben muss. Georg Blume, Peking

Heiligabend. Gemessen an dem überwegend als traulich geplanten deutschen Fest, fehlt in Italien so ziemlich alles.

Zuallererst der Heilige Abend selbst. Es ist einfach der Tag vor Weihnachten, da gibt es ein ausführliches Essen, wie sonst am Samstagabend, basta. Getafelt wird erst am 25. Daher auch weder feierliche Lieder noch das abendliche strahlende Geschenkeauspacken. Wenn überhaupt in den Weihnachtstagen, gibt es die Präsente unterm Baum um Mitternacht. Denn das eigentliche, traditionelle Schenkfest ist gar nicht Weihnachten, sondern „Befana“ am 6. Januar: der Tag der „Erscheinung des Herrn“, Epiphania, an dem laut Bibel die drei Weisen aus dem Morgendlande die erste „Bescherung“ ausrichteten, die Übergabe der Weihegeschenke. Überreicht werden die Gaben auch weder vom Weihnachtsmann noch vom Christkind – sondern von einer Hexe namens, eben: „Befana“. Die steckt, was wiederum bei uns fehlt, bösen Kindern auch schon mal Kohlestückchen in den Sack (die allerdings meist aus geschwärztem Zucker bestehen) – ähnlich darin eher Nikolaus und Knecht Ruprecht.

Auch unser (allerdings meist bemitleidenswerter) echter Tannenbaum kommt nur selten vor. Weil diese Bäume in Italien kaum wachsen, greift man zum künstlichen aus Plastik. Der ist, natürlich, auch mit künstlichen, also elektrischen Kerzen und keinen echten bestückt, und meist blinkt er auch, und das den ganzen Tag über; gerne untermalt mit einer sich ewig drehenden Spieluhr. Und da der Fernseher meist ebenfalls ununterbrochen läuft, kommt gar, wiederum anders als bei uns, nur selten jemand auf die Idee, Weihnachten als Fest der Besinnlichkeit zu planen.

Werner Raith, Rom

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