piwik no script img

Das Jahr der Leuchttürme

■ Jahresrückblick, Teil 2: Kultur. Neue Gesichter traten an den Bühnen und Museen auf. Aber es fehlt ein Strukturkonzept für die Zukunft. 1999 blieb ein Jahr der offenen Wünsche

Der ausgeschiedene Kultursenator Peter Radunksi agierte mehr im Sinne eines Zirkusdirektors denn als Artist

Der Auftritt von Michael Blumenthal kurz vor Weihnachten war beispielhaft. Da verkündet der Direktor des Jüdischen Museums, dass noch in dieser Woche der 100.000 Besucher in dem „neuen Haus von Weltgeltung“ erwartet wird. Doch mit der Eröffnung des Museums müsse man sich bis 2001 gedulden. Erst benötige der Libeskind-Bau eine neue Klimaanlage. Wer diese finanziert, ist offen. Bis dahin dürfen die Besucher weiter durch das leere Gebäude wandeln. Auch damit erfülle das Museum schon ein wenig „die Wünsche von Interessierten“, so Blumenthal. Ganz kriegt man es aber nicht.

Es gehört zum Wesen der Berliner Kultur 1999, dass es ein Jahr der Wunschproduktionen, offenen Fragen und Rechnungen geblieben ist. Selbst das, was Ex-Kultursenator Peter Radunski (CDU) sich als Erfolg verbuchen wird, mutet an wie ein ungedeckter Scheck.

Sicher, an der Schaubühne am Lehniner Platz probt seit kurzer Zeit ein junges Ensemble unter der Regie von Thomas Ostermeier und Sasha Waltz. Ostermeier machte mit der Aufführung „Shoppen und Ficken“ Furore, Waltz durch Choreografien in den Sophiensælen. Aufbruchstimmung herrscht auch am Berliner Ensemble, an das Claus Peymann aus Wien importiert wurde. Udo Zimmermann hat Radunski an die Deutsche Oper verpflichtet, und Bernd Wilms soll, nach Querelen mit dem eigenen Staatssekretär, vom Maxim-Gorki-Theater an das Deutsche Theater wechseln. Was hinter den Kulissen entsteht, wird das „hochverehrte Publikum“ erst im neuen Jahr erleben können: Flops inbegriffen, Subventionen inklusive.

Auch hat das Land von Kulturstaatssekretär Michael Naumann (SPD) 120 Millionen Mark Fördermittel für die hauptstädtischen „Leuchttürme“ erstritten. Die Mittel fließen in das Deutsche Theater, die Staatsoper oder das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Die Museumsinsel wird umgebaut und trumpfte im Sommer mit einem neuen Präsidenten und Generaldirektor auf, der gleich mit einer Mammutschau die „Kunst im 20. Jahrhundert“ über drei Museen verteilte. Das Philharmonische Orchester wählte sich Superstar Sir Simon Rattle zum zukünftigen Chefdirigenten. Das Land fördert, gemeinsam mit Brandenburg, Filmproduktionen mit über 20 Millionen Mark. Kinos schießen, zu Mulitplexen erweitert, wie Pilze aus dem Boden. Die Galerienszene in Mitte boomt, die neu eröffneten „Kunstwerke“ sind Berlins eigentliches Museum für zeitgenössische Kunst. An allen Entscheidungen hat Radunski mitgewirkt, direkt oder indirekt – doch mehr im Sinne eines Zirkusdirektors denn als Artist.

Denn schaut man genauer auf die Kulturszene des vergangenen Jahres, hat Berlin jenseits der repäsentativen Highlights sich mehr Schwierigkeiten geschaffen, als diese aus dem Weg geräumt. Radunski, analysierte ein Kulturkritiker einmal, agierte als Kultursenator ebenso wie in seinem früheren Job als CDU-Wahlkampfmanager: Er trommelt und verlässt dann die Bühne. Die Probleme müssten andere aus der Welt schaffen. Für kulturpolitische Forderungen der Zukunft reiche ein Konzept großer Namen und Kultur-Events mit Monatsrhythmus nicht aus.

Als gravierender Fehler, urteilt André Schmitz, Geschäftsführer der Detuschen Oper Berlin, sei Radunski in diesem Jahr anzulasten, dass er trotz großer Fehlbeträge „und unter dem Konsolidierungszwang leerer öffentlicher Kassen“ die alten „Strukturen Westberliner Kulturpolitk“ nicht verändert habe. Den etablierten Häusern wurden weiterhin enorme Defizite gestattet, so dass sich die Schuldenlast auf geschätzte 50 bis 75 Millionen Mark im Kulturetat erhöht hat.

Für neuen Handlungsspielraum besteht dergestalt keine Chance. Deshalb bleibt die Zukunft des geschlossenen Metropol-Theaters ebenso ungeklärt wie ein weit reichendes Finanzkonzept für die staatlichen Opernhäuser, geschweige denn deren Umwandlung in eigenverantwortliche Gesellschaften. Die Misswirtschaft produziert höchstens neue Konzeptionslosigkeit: So will etwa die Deutsche Staatsoper aus Sparsamkeit ausgerechnet ihr einzigartiges Barockrepertoire aufgeben.

Ohne klare Perspektiven hat Radunski auch die Berlinische Galerie als Problemfall hinterlassen. Weil das fragwürdige Tauschgeschäft mit einem Investor – Studentenwohnheim Schlachtensee gegen die Finanzierung des Landesmuseums für moderne Kunst am Viktoria-Park – nicht abgeschlossen ist, bleibt das Museum in der Hängepartie. Schließlich wird die Erweiterung des großen Museums für Verkehr und Technik das Land Zinsen kosten. Statt eines Investitionskonzepts baut Berlin das Haus mit einem Bankkredit auf.

Schmitz ist nicht der einzige, der eine Bestandsaufnahme und Strukturreformen fordert. Auch der Rat der Künste, die Interessenvertretung von 250 Berliner Kulturinstitutionen, gab der neuen Kultursenatorin Christa Thoben (CDU) mit auf den Weg, sich um neue Perspektiven der Kulturpolitik zu kümmen, will sie nicht als bankrotte Theater- oder Museumskillerin in die Geschichte eingehen. Neue Organisationsformen der bestehenden Kultureinrichtungen, andere Entscheidungsträger bei der Mittelvergabe und gezieltere Förderung insbesondere von innovativen Projekten müssten aufs Tapet.

Dem Jahr der „Leuchttürme“, Markenzeichen der Ära Radunski 1999, müsse nun das Jahr der Vernetzung aller kulturellen und städtischen Projekte folgen. Alles auf den Prüfstand? Warum nicht!

Rolf Lautenschläger Teil 3 morgen: Sport

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen