Nur die Liebe sprengt die Welt ■ Von Wladimir Kaminer

Man bat mich, einem Mitarbeiter des „Tränenpalastes“ in einer russischen Liebesangelegenheit zu helfen. Er hatte sich in einem Bordell in eine Landsfrau von mir verliebt und wollte sie da rausholen. Sie sprach und verstand jedoch kein Deutsch. Als wir uns trafen, erzählte mir die Frau, Diana, dass sie in Wahrheit einen ganz anderen Deutschen liebe. Ihn musste ich dann auch noch unbedingt kennen lernen: Frank arbeitete als Lüftungstechniker bei der BVG und hatte Diana ebenfalls im Bordell entdeckt.

Das Mädchen stammte aus einem weißrussischen Dorf namens Goziki und war mit einem gefälschten polnischen Pass nach Berlin gekommen, um hier ihr Glück zu finden. Ihre Begegnung hatte beide zutiefst erschüttert, es war Liebe auf den ersten Blick. Frank überlegte nicht lange und machte Diana einen Heiratsantrag. Ihm war bewusst, dass dies eine riskante Sache war – er kannte das Mädchen kaum. Doch bei sich in Spandau hatte er ständig einen Nachbarn vor Augen, einen Bauingenieur, der eine tschechische Prostituierte geheiratet hatte und bei dem alles hervorragend lief. Diana lehnte jedoch Franks Angebot zunächst ab. Sie war noch sehr jung und wollte erst einmal anständig Geld verdienen – und dann vielleicht eine Familie gründen.

Der Laden, in dem sie jeden Tag anschaffen ging, lief jedoch nicht gut. Der Bordellbesitzer war hoffnungslos in eines seiner Mädchen verliebt. Sie wurde ständig schwanger, hatte aber für den Mann nicht viel übrig. Dem Bordellbesitzer verging langsam die Lust am Leben, er besoff sich täglich und magerte ab. Daraufhin versuchten die anderen Mädchen, ihn zu trösten – und wurden ebenfalls schwanger. Das Bordell verwandelte sich in eine Beziehungskiste. Eines Tages verschwand der Besitzer und ließ die Frauen allein. Das Bordell wurde geschlossen.

Diana rief in ihrerVerzweiflung die einzigen Stammkunden an, die sie hatte: zuerst den Mann vom Tränenpalast, dann den Lüftungstechniker. Schließlich kreuzte sie bei ihm in Spandau auf. Diesmal ging sie auf sein Heiratsangebot ein. Der Lüftungstechniker ließ sich für eine Woche krank schreiben und nahm einen 5000-Mark-Kredit auf. Dann fuhren beide nach Weißrussland ins Dorf Goziki, um dort zu heiraten.

Hier wurde Frank sofort mit den wilden weißrussischen Sitten konfrontiert. Noch auf dem Bahnhof klaute man ihnen das Gepäck. Die Brautjungfern beschuldigten Diana des Heimatverrats und schlugen ihr ein blaues Auge. Frank wurde ebenfalls von einigen Einheimischen aus patriotischen Gründen angegriffen. Danach wurden jedoch alle gute Freunde. Die Hochzeit fand im größten Saal des Dorfes statt: in der Sporthalle der Grundschule. Frank kaufte fünf Kisten Wodka und fünf Kisten Portwein – für die Frauen.

Das Fest dauerte zwei Tage und wäre noch weiter gegangen, wenn Dianas Vater nicht alles versaut hätte. Er ging vor lauter Freude besoffen an den Goziki-Fluß, um ein Bad zu nehmen – und kam nicht wieder. Einen ganzen Tag lang bemühte man sich, seine Leiche im Fluss zu bergen. Unmerklich ging die Hochzeit in ein Begräbnis über.

Die Neuvermählten fuhren nach Berlin zurück. Diana wurde an der deutsch-polnischen Grenze angehalten. Es stellte sich heraus, dass sie ein Einreiseverbot in die Schengen-Staaten hatte, wegen ihres früheren gefälschten polnischen Passes. Frank musste alleine weiter fahren. Jeden Tag rief er bei der Ausländerbehörde an. Er schrieb ans Auswärtige Amt, an den Bundeskanzler, an die Familienministerin und an den obersten Gerichtshof. Nach zwei Monaten hatte er das Unmögliche geschafft: die sonst unbesiegbare Behördenmaschinerie gab ihrer Liebe nach: das Einreiseverbot für Diana wurde aufgehoben, und jetzt ist sie bereits wieder in Berlin.

Was lehrt uns diese Geschichte? Dass Goethe doch Recht hatte und die Liebe immer noch stärker als alles andere ist.