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Tod im Netz

„Da ist der Pfennig, wo ist die Mark?“, lässt Tucholsky das Proletariat fragen – irgendwo in dem Gedichtband, den meine Schwester zu Weihnachten bekam. Und schnell weglegte. Denn wo die Märker hingetragen werden, konnte sie am Umtauschschalter vom Media-Markt beobachten. Die neue Mitte investiert ihren Teil des von ihr erarbeiteten Mehrwerts in Autoboxen und Freisprechanlagen fürs Handy. Und wer einen Internet-Anschluss geschenkt bekam, kann sogar beeinflussen, wo der Pfennig bleibt.

www.thehungersite.com ist ein schöner Link für Weihnachts- oder Neujahrsmails. Site heißt nicht Seite, sondern Platz oder Ort. „Hungersite“ ist der Ort, wo gestorben wird im Internet. Eine Weltkarte prangt auf dem Bildschirm, darunter steht „Alle 3,6 Sekunden stirbt jemand an Hunger. In 3 von 4 Fällen ein Kind unter 5 Jahren.“ Alle 3,6 Sekunden blinkt deshalb ein Land auf der Karte kurz schwarz: Dort ist gerade wieder jemand verhungert. Blink – Jolande in Mexiko ist tot – blink – Bakeerathan auf Sri Lanka hat’s erwischt – blink. Halt, stopp, wir müssen was tun! Und zwar auf das Feld unter der Weltkarte klicken. „Donate free food“ steht hier – und alles wird gut, denn für jeden Klick spenden amerikanische Firmen „eine viertel Tasse Lebensmittel“ an ein Hilfsprogramm der UNO.

Die edlen Spender kostet das Ganze 0,5 Cent pro Mausklick – immerhin ein Siebtel der normalem Kosten für solche Werbung im Netz – und uns ein Tippen mit dem Zeigefinger. Toll! Bill Gates könnte vielleicht die Schulen Äthiopiens und des Sudans mit Microsoft-Produkten ausrüsten und ans Netz anschließen. Hilfe zur Selbsthilfe: Wer zu hungrig zum Lernen ist, könnte dann doch thehungersite aufrufen und klicken, klicken, klicken ... Für uns gilt auf jeden Fall: Billiger war ein gerechtes Gefühl noch nie zu haben. Robin Alexander