■ Ein Orkan kommt selten allein. Die Häufigkeit von Stürmen wie „Lothar“, der im Süden Deutschlands große Verwüstungen angerichtet hat, ist nach Meinung von Experten ein Indiz für Klimaänderungen in Europa
: Der Wald hält es nicht mehr aus

Die Belastung des Waldbodens durch Säureeinträge ist extrem, und auf einem kranken Boden wächst kein gesunder Wald, heißt es im Waldschadensbericht

Schon vergessen? 1990 rasten im Frühjahr innerhalb von vier Wochen vier Orkane durch Nordwesteuropa. 160 Kilometer pro Stunde brachte „Vivian“ damals auf, schleuderte vier Sturmfluten an die deutsche Küste und forderte 35 Tote in Nordwesteuropa. Gemeinsam mit „Vivian“ hatten „Wiebke“ , „Hertha“, „Daria“ verheerende Schäden angerichtet, ganze Wälder brachen unter der Wucht der Windböen zusammen, das Wasser in den Flüssen stieg unter den sintflutartigen Regenfällen. Und jetzt, 10 Jahre später, zieht „Lothar“ eine ähnliche Spur durch Städte und Wälder, und auch dieser Orkan bleibt nicht allein, sondern hat weitere Stürme im Gefolge.

Schon 1990 wurde die Frage aufgeworfen, ob dies die ersten Zeichen einer nahenden Klimakatastrophe seien, also nicht nur die USA und Asien, sondern auch Europa nun immer häufiger von immer stärkeren Stürmen heimgesucht werden könnte. Eine derartig manifeste Zukunftsprognose auf der Basis eines einzelnen Sturmes aufzustellen, fällt Klimaforschern schwer. Fest steht, dass die Wiebke-Gruppe und Lothar nicht die ersten Stürme dieses Jahrhunderts waren. Im März 1949 starben 29 Menschen bei einem Orkan, im Februar 1962 wurden durch die Sturmflut vor Hamburg 75.000 Menschen obdachlos. Fest steht ebenso, schreibt das Internationale Forum für Klimaveränderungen (IPCC), dass sich das Klima ändert und menschliche Aktivitäten dazu beitragen. Und dass selbst eine Stabilisierung der Konzentrationen von Treibhausgasen, die für den Klimawandel verantwortlich sind, den Temperaturanstieg kurzfristig nicht stoppen wird.

„Der Temperaturanstieg ist indirekt mitverantwortlich für Lothar. Verantwortlich für Orkane und auch für die häufigen Überschwemmungen der letzten Jahre sind aber vor allem die durch Klimaänderungen verstärkten Westwetterlagen“, sagt Peter Werner, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Bei diesen Westwetterlagen müsse man auch öfter mit Stürmen rechnen.

Die steigende Häufigkeit der menschengemachten Katastrophen gelten im PIK als Indiz für die Klimaänderung. Auch Klaus Töpfer, Direktor des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP), warnte in einem Interview in der Frankfurter Rundschau, mit den Stürmen „bekäme man eine Ahnung davon, was uns noch blüht“. Sowohl Töpfer als auch Werner halten die bisherigen Anstrengungen der Regierungen, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren, für nicht ausreichend.

„Es ist zwar richtig, dass Klimaänderungen nicht so schnell rückgängig zu machen sind und man im Prinzip jetzt nicht viel dagegen tun kann“, meint Werner. „Aber gerade deswegen sollten langfristig die Emissionen von Treibhausgasen stark reduziert werden.“ Werner ist da optimistisch: Immerhin gebe es zwischen den Staaten Einigkeit darüber, dass gehandelt werden muss.

Während in Fachzirkeln die Debatte um Klimaveränderungen wieder auflebt, geben Forstämter und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) ganz pragmatisch Warnungen aus: In den betroffenen Gebieten solle man von Spaziergängen und Fahrten durch den Wald absehen, weil auch weiterhin wegen fallender Bäume und Äste Lebensgefahr bestehe. Viele Bäume seien angerissen, oder Wurzeln hätten sich gelöst.

Neben den Zerstörungen in den Ortschaften hat der Sturm vor allem in den Wäldern zugeschlagen und den Bewuchs ganzer Areale zu Boden gerissen. „Wie Mikadostäbchen“ lägen die Bäume auf dem Boden, berichtete ein Förster in der Pfalz einer Regionalzeitung. Auf die staatlichen und privaten Waldbesitzer kommen nun, wie 1990, kostenintensive Wiederaufforstungen zu. Nach Wiebke hatte man zwar gelernt und nicht nur schnell wachsende Fichtenplantagen angelegt, sondern auch mit Laub- und Mischwäldern aufgeforstet, die dem Wind mehr Widerstand entgegenstellen.

Aber der Sturm mit der höchsten Windgeschwindigkeit, die seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen 1876 gemessen wurde, hat in manchen Wäldern auch vor diesen Bäumen nicht Halt gemacht. Den Grund für die großflächige Zerstörung sieht die SDW allerdings nicht nur in der Stärke des Sturms: „Die Wälder sind durch die neuartigen Waldschäden geschwächt“, heißt es. Zu viel Stickstoff ließe die Bäume zu schnell in die Höhe wachsen. Laut dem letzten Waldschadensbericht ist die Belastung des Waldbodens durch Säureeinträge extrem, und auf einem kranken Boden wächst nun mal kein gesunder Wald. Produzenten für die Schadstoffe sind vor allem Verkehr und Landwirtschaft.

Lothar hat neben den deutschen Wald auch Schutzwälder in den Alpen, besonders in der Schweiz erwischt, die Lawinen aufhalten und verhindern sollen. Der Verlust, hieß es in der Schweiz, könne das Ausmaß von 1990 übersteigen. Aus den südlichen Berggebieten, namentlich den bayrischen Alpen und Österreich, wird wegen des Sturms vor Lawinen gewarnt. Der Wind hat laut Lawinenwarndienst zu starken Schneeverfrachtungen geführt, Schneebretter können sich ablösen. „Abseits der gesicherten Pisten sollte man sich jetzt genau informieren und nicht ins Blaue hinein fahren“, sagt Michael Ehrlich vom Lawinenwarndienst.

Ebenfalls betroffen von dem Orkan sind, wie auch bei den Stürmen 1990 und 1993, die Flüsse: Sie führen Hochwasser. Sowohl Rhein als auch Mosel stiegen innerhalb kurzer Zeit an und setzten erste Straßen unter Wasser. Wegen neuer Schnee- und Regenfälle wird mit einem weiteren Anstieg des Pegels gerechnet.

Bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen mit Lothar bis zur nächsten Klimakonferenz in Den Haag im Herbst 2000 im Gedächtnis bleiben. Auf der letzten Konferenz hatte Robert Watson vom IPCC schon mal deutlich gemacht, welche Strategie er für dringend notwendig hält: vorbeugende Anpassung an kommende Katastrophen.Maike Rademaker