InFußballland

Christoph Biermann

Ich hatte mir vorgenommen, aus meinem Gespräch mit Bernard Dietz einen Überredungsversuch zu machen. Er sollte doch Trainer des Profiteams beim VfL Bochum bleiben, schließlich hatte er die Mannschaft innerhalb weniger Wochen sportlich saniert, und sie spielte endlich wieder erfolgreich und schön. Allerdings war mir bereits klar, dass ich wenig erfolgreich sein würde, als ich Dietz an einem Nebenplatz des Ruhrstadions abholte. Da stand er im Zwielicht der Trainingsleuchten glücklich auf schlammiger roter Asche, trainierte die Amateurmannschaft des Klubs mit unübersehbarem Vergnügen und hielt mir auf dem Weg zu den Kabinen einen flammenden Vortrag über Nachwuchsförderung .

■ Der Mann des Jahres findet Freiheit im Garten und trägt dabei nur Unterhose

Zur Begrüßung hatte mir Dietz die Hand gegeben. An dieser Hand fehlen zwei Finger, was daran erinnert, dass er ein Leben vor dem Fußball hatte. Bevor Bernard Dietz beim MSV Duisburg zum Berufsfußballer wurde und später zum Kapitän der Nationalmannschaft aufstieg, hat er als Schmied gearbeitet und die Finger bei einem Arbeitsunfall verloren. Dietz sagt oft, dass er nicht vergessen hat, wo er herkommt. Dazu braucht er sich nur seine Hand anzuschauen.

Später saßen wir in einer Abstellkammer neben einem Getränkeautomat, und Dietz erklärte, warum er möglichst bald wieder zu seinen Nachwuchsspielern zurückkehren wolle. Er hätte den jungen Kickern sein Wissen und Können weiterzugeben, der Profifußball hingegen sei ihm zu viel Show und zu wenig Fußball (70 zu 30 Prozent, meinte er). Darüber hinaus sei ihm die Belastung zu viel, verantwortlich für viele Millionen Mark zu sein. Bereits nach einigen Wochen im Profifußball könne er nachts nicht mehr richtig schlafen. Eine private Komponente habe seine Weigerung auch. Mutter („eine prima Frau“) und Bruder würden im Rollstuhl sitzen, sich um beide zu kümmern wäre ihm wichtiger als Fußballsiege.

Bernard Dietz hat das in vielen Interviews ausgeführt und ist damit zu einem bestaunten Kuriosum geworden. Seine Verweigerung des Profigeschäfts hat einen Zug ins Konservative. Er lobt die kleine Welt, in seinem Fall ein Dorf im Münsterland, aus der man („Komm Mädchen, wir fahren ins Sauerland.“) mit der Ehefrau nur zum Wandern aufbricht. Das Profigeschäft hingegen ist ohne Bescheidenheit und Respekt, voller Hochmut und Dekadenz. Verdorben vom Geld, ohne Anstand und Moral. Solche wie Basler und Effenberg hätten sie früher beim Training mal ordentlich weggegrätscht, dann wäre Ruhe gewesen, hat Dietz später noch einmal gesagt.

Rebelliert da ein Kleinbürger rabiat gegen die Scheißmillionäre, die nicht mehr in seiner kleinen Welt sein möchten? Es klingt ganz so, aber bei dieser Grätsche hatte er sich im Ton vergriffen, denn seiner ist eigentlich anders. Meistens strahlt Bernard Dietz, wenn er spricht, ihn treiben nicht dunkle Aversionen an. Er setzt statt auf das große Geld und Einfluss, Macht oder Jubel auf Euphorie. Dietz lässt sich begeistern und begeistert andere für das Spiel. Dabei ist er so direkt, so unkalkuliert und offenherzig, dass alle, die mit ihm gesprochen haben, seltsam verzaubert zurückgekehrt sind. Auch die Spieler standen unter diesem Zauber. Ein guter Trainer wäre er ihnen weiterhin gewesen, aber nichts konnte Bernard Dietz umstimmen, mit nichts konnte man ihn kaufen. Darauf ist er stolz, und ein wenig geschmeichelt gefühlt hat er sich durch die Begeisterung um ihn durchaus.

Auch ich war am Ende des Gesprächs verzaubert und bin es noch. Dietz ist für mich unbestritten „Mann des Jahres“. Am Ruhrstadion war längst niemand mehr, als wir in die Nacht hinaustraten. Dietz erklärte immer noch, von welchen Vereinnahmungen er verschont werden wolle, als er die Sporttasche in den Kofferraum seines Wagens (der natürlich ein paar Nummern kleiner als branchenüblich ist) legte. „Dann kommen immer diese Fernsehgesellschaften“ – Dietz sagt meistens „Fernsehgesellschaften“ statt „Fernsehsender“ – „und ich kann im Sommer nicht mehr in Unterhose durch den Garten laufen.“ Das mag eine seltsame Freiheitsfantasie sein, aber mir leuchtete sie ein.