: Der Traum von einer neuen Stadt
Direkt neben der Innenstadt will der Senat ein pulsierendes neues Viertel aus dem Boden stampfen. Ob der große städtebauliche Wurf HafenCity gelingt, ist vollkommen offen ■ Von Gernot Knödler
Es könnte so schön werden:
Am Oberhafen entstehen Lofts, in denen Kreativlinge in Berufen arbeiten, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Am Grasbrook- und am Baakenhafen wohnen junge Familien, die diesen Teil der neuen HafenCity so attraktiv fanden, dass sie darauf verzichteten, ins Umland zu ziehen. Zwischen dem Kreuzfahrt-Terminal auf dem heutigen Cellpap-Gelände und dem Jungfernstieg flanieren Scharen entspannter Ausflügler, Shopper- und NachtschwärmerInnen hin und her. Und die Immobilienmogule reißen sich derart um einzelne markante Grundstücke auf dem Gelände, dass aus deren Verkauf alleine schon der halbe Containerhafen in Altenwerder finanziert werden kann. Schön wär's.
Doch vor der Realisierung der Träume von Senat und Bürgerschaft sind etliche Hürden zu überwinden. In einer Reihe von Podiumsdiskussionen über den Masterplan-Entwurf für die HafenCity, veranstaltet von der Stadtentwicklungsbehörde (Steb) und der städtischen Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (GHS), sind die wichtigsten diskutiert worden.
Der Plan ist so ehrgeizig, dass es sich fast von selbst versteht, wenn Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (GAL) sagt: „Alle in Hamburg müssen die HafenCity für das zentrale Projekt halten – auch die Banken und die Wirtschaft.“ Vergleichbare Vorhaben waren in anderen Ländern faktisch nationale Projekte, etwa La Défense in Paris oder der Hafen in Rotterdam. Hamburg wird sich demgegenüber mit der HafenCity schon im eigenen Land gegen die nur gut 300 Kilometer entfernte Bundeshauptstadt durchsetzen müssen und steht europaweit im Wettkampf der Regionen.
„Vorne in der Liga werden nur die Städte mitspielen, die international vernetzt sind“, prognostiziert Wirtschaftssenator Thomas Mirow (SPD). Sie beherbergten ausländische Unternehmen, internationale Schulen und Vereine, Menschen aus der ganzen Welt. Deshalb gelte es, in der HafenCity eine Atmosphäre zu schaffen, die qualifizierte Arbeitsplätze nach Hamburg ziehe.
Hunderte Millionen Mark aus der ganzen Welt
werden in die Hansestadt fließen müssen, wenn aus diesem Traum etwas werden soll. Und die Stadt wird nach einer verbreiteten Meinung Geld drauflegen müssen statt welches zu verdienen, mit dem sie den mindestens eine halbe Milliarde Mark teuren Containerhafen in Altenwerder bezahlen könnte. „Ich kenne kein Quartier, wo wirklich Geld übrig geblieben wäre“, sagt die Münchener Stadtbaurätin Christiane Thalgott. Die Wertdifferenz zwischen entwickelten und nicht entwickelten Flächen liege im Allgemeinen eher unter den Kosten für die Infrastruktur.
Im Gegenteil: Die Stadt müsse subventionierte Grundstücke für Wohnungen sowie für Handwerker und kleine Firmen anbieten, damit ein lebendiges Viertel entstehe. Thalgott: „Ich bin überzeugt, dass ein Stadtteil, in dem keine Familien und keine Leute aus mittleren Einkommensgruppen leben, keinen Tiefgang bekommt.“ Nur solche Leute blieben auf Dauer im Viertel und könnten es prägen.
Damit Wohnungen und Arbeitsplätze überhaupt entstehen, ist es Thalgotts Ansicht nach wesentlich, attraktive öffentliche Verkehrsmittel anzubieten. Busse und eine S-Bahnstation seien zu wenig, betont auch Christoph Kremp von der Vereins- und Westbank. Im Gegensatz zu den bisherigen Plänen dürfe der Senat hier nicht mit Vorleistungen knausern. Dass im Kontorhausviertel so viele Büros leerstehen, liege auch an der schlechten Verkehrsanbindung des Quartiers. Dennoch verfahre der Senat derzeit nach dem Denkansatz: „Eigentlich können wir uns das, was attraktiv ist, gar nicht leisten.“
Grundfalsch findet diese Haltung auch Erika Spiegel: „Ich stell` das immer in Relation zu den wahnsinnigen Kosten, die ohnehin entstehen“, sagt die emeritierte Professorin der TU Harburg. Es sei nötig, das Riesenprojekt mit einem Paukenschlag zu eröffnen, um Investoren anzulocken. „Ich würde denen die Umzugskisten noch vergolden!“, rief Spiegel in der Kaffeebörse. Stadtentwicklungssenator Maier konnte nur schulterzukkend darauf verweisen, er habe selbst davor gewarnt, Altenwerder mit den Erlösen aus der Hafencity zu bezahlen. Die Bürgerschaft habe jedoch anders entschieden. Also bleibe lediglich die Option, „gestützt auf öffentlichen Druck“ klare Qualitätsanforderungen zu formulieren.
Einem Qualitätsteam oder einer Ästhetik-Kommission, wie sie von der Architektenkammer und den Stadtplanerinnen Ingrid Lübke und Christiane Thalgott gefordert wurde, erteilte Maier aber eine Absage. Die Kommission sollte das Recht haben, jedes Projekt zu stoppen, das nicht ihren Ansprüchen gerecht wird. „Nur so können wir dem wirtschaftlichen Druck, der sicher entstehen wird, widerstehen“, hatte Kammer-Vizeprasident Jürgen Böge argumentiert. Der Senator dagegen befürchtet, ein solcher Rat der Weisen könnte sich wegen der politischen Zwänge bei seiner Besetzung als kontraproduktiv erweisen. „Das kann nach hinten losgehen“, sagte Maier.
Mit oder ohne Kommission wird es der Senat schwer haben, den Spagat auszuhalten zwischen der Absicht, markante bis spektakuläre Gebäude in die HafenCity zu setzen, und dem Wunsch mancher Investoren, endlich einmal wieder Hochhäuser zu bauen. Hochhäuser seien Ort, an denen Unternehmen Visitenkarten hinterlassen könnten, sagte Jürgen Ehrlich von der Deutschen Immobilienfonds AG (Difa). Der Immobilienkaufmann schlug vor, einen gigantischen HafenCity-Turm vor den Eingang des Magdeburger und des Baakenhafens zu setzen. Denn die Halbinseln der Hafencity trennten „dramatische Entfernungen“ voneinander, vom Ausgang des Magdeburger Hafens bis zum Jungfernstieg sind es beinahe anderthalb Kilometer. Nur durch „spannende, attraktive Marken“ an den Enden könnten solche Räume überbrückt werden.
Funktionieren wird das aber nur, wenn der Anschluss an die heutige Innenstadt auch im kleinen gelingt. „Mehrere Todesstreifen“ seien auf dem Weg von der City in die Hafencity zu überwinden, warnte HfBK-Präsidentin Adrienne Göhler. Zwischen Leuten ganz unterschiedlicher Couleur ist allerdings umstritten, wie stark etwa die Ost-West-Strasse als Hindernis wirkt und ob sie in den lange geforderten Tunnel verlegt werden müsste, den sich die Stadt ohnehin nicht leisten kann. Klar ist, das sie für Fussgänger attraktiver werden muss, ebenso wie die Brandstwiete, das neuralgische Verbindungsstück zwischen Jungfernstieg und Magdeburger Hafen.
Nicht zuletzt deshalb wünschte sich Immobilienkaufmann Ehrlich einen „Masterplan für die gesamte Innenstadt“. Kioske, Marktstände und fliegender Handel könnten seiner Meinung nach die Strassen beleben. Sicher auch eine Planung, die das menschliche Maß bedenkt und die Poesie, wie sie die Architektin Barbara Brakenhoff vom drittplatzierten PlanerInnenteam PPL anmahnte.
Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter setzt daher darauf, dass auch bis zur Traufhöhe der Speicherstadt Architektur gebaut werden kann, die in der ganzen Welt Aufsehen erregt. Ausnahmen sieht der Siegerentwurf für den Masterplan lediglich zwischen den Elbbrücken vor: Im Modell sind es drei unterschiedlich grosse Hochhäuser, die ein Journalist gleich den „Neptunzinken“ taufte - ein Tor zur Stadt. S-Bahn und Autobahn könnten die anfallenden Menschenmassen dort hin- und wieder wegbewegen.
Studenten der Fachhochschule Hamburg dagegen kippten gleich die ganze Hafencity in die Senkrechte: 22 plus X Hochhäuser - Vertikale Hafencity nannten sie ihre Idee. Sie geht aus von der Frage: „Ist es wirklich gewollt, dass die Stadt der Zukunft so aussieht wie früher?“ Tatsächlich erinnert der Vorschlag der Studis an die gigantomanischen Planungen der 70er Jahre: Zweieinhalb Millionen Quadratmeter Bruttogeschossfläche wollen sie in die Senkrechte bauen, darunter das höchste Gebäude der Welt. Zwischendrin sollten riesige Grünflächen entstehen. Die City Nord läßt grüßen.
Den anderen Pol studentischer Vorstellungen, die ja den Städtebau der Zukunft in wachsendem Mass beeinflussen werden, bildete die Strategie der „kulturellen Sukzession“. Malte Ullrich und Andreas Kloevekorn von der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) schlugen vor, den neuen Stadtteil allmählich aus dem bestehenden Ensemble von Schuppen, Kränen und einem Heizkraftwerk zu entwickeln. Künstler, Theaterleute, Cineasten und andere Gruppen sollten sich hierzu der Gebäude bemächtigen. Aus dem Heizkraftwerk könnte etwa ein Urban-Entertainment-Centre werden, und die öffentlichen Räumen sollten die Hafenatmosphäre inszenieren. „Entscheidend ist, dass die Hafencity anders entsteht“, so Ullrich und Kloevekorn. Der Vorteil ihres Verfahrens: Die Hafencity würde allmählich und automatisch mit Leben gefüllt, KünstlerInnen und Szene bildeten die Vorhut.
Hermann Hipp hätte ihren Vorschlag mehr als wohlwollend zur Kenntnis genommen: „Es gibt doch einfach kein reizvolleres Quartier als den Baakenhafen und den Lohseplatz!“, rief der Kunsthistoriker begeistert. Es gelte, die historische Struktur der Inseln aufzunehmen, statt tabula rasa zu machen. Alles andere verführe zu einer Beliebigkeit der Architektur. Und nicht nur Dieter Läpple von der Technischen Universität Harburg verwies auf das Beispiel des Hotels „New York“ im Hafen von Rotterdam. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Holland-Amerika-Linie hatte ursprünglich abgerissen werden sollen und ist wegen seiner Atmosphäre heute ein Muss für viele Rotterdam-Touristen.
Nicht ganz klar ist, wieweit sich der Senat auf diesen Vorschlag einlassen wird. In der Fassung von Ullrich und Kloevekorn müsste die Stadt auf die Warften verzichten, auf die sie zum Zwecke des Hochwasserschutzes alle Bauten setzen will. Das kommt nicht in Frage. Gleichwohl hat sich der Senat einer allmählichen Entwicklung des Gebiets verschrieben. Einige Grundstücke hat er noch gar nicht gekauft und den Industriebau der Kaffeelagerei neben dem Neubau auf der Kehrwiederspitze verschont. Konsens ist auch, dass der klotzige Kaispeicher A neu genutzt werden soll. Der ehemalige Stadtentwicklungs- und heutige Wirtschaftssenator Mirow plädierte dafür, „alte Strukturen nicht ganz abzuräumen“, weil der neue Stadtteil sonst zu glatt, mithin nicht mehr attraktiv wäre.
Vielleicht kann sich ja aus der Auseinandersetzung mit dem Ort eines der von Oberbaudirektor Walter gesuchten „Leitthemen“ ergeben, welche die Hafencity unverwechselbar machen. Nahe liegt das Motiv „Land und Wasser“, das Helge Michaelis aus einen Entwurfsworkshop der HfBK vortrug. Sie schlugen vor, alle Gebäude zu erhalten und stattdessen Wohnschiffe in die Hafenbecken zu legen, außerdem eine schwimmende Infobox und ein Gebäude, das sich mit den Gezeiten dreht. Ullrich und Kloevekorn hatten bereits angeregt, im Grasbrookhafen einen Strand zu schaffen, der den Gezeiten ausgesetzt wäre.
Für den Oberbaudirektor kommt als mögliches Leitthema hinzu, die Blöcke des neuen Viertels in einer neuen, feineren Körnung zu errichten. „Die Herausforderung wäre, einen neuen Typus von Innenstadt zu bauen“, sagte Walter. Er müsste neuen Formen des Arbeitens in der Stadt Raum schaffen, aber vielleicht auch Platz für ein Thema wie „Stadt und Welt“, mit dem sich die HafenCity profilieren könnte.
Am ambitioniertesten Innenstadt gebaut hat wohl das im städtebaulichen Wettbewerb drittplatzierte Team PPL, das „Baufelder“ entwarf: Blöcke in einer Grösse, wie sie die übrige Stadt prägen, mit breiten öffentlichen Achsen dazwischen und engen Gassen und Höfen im Inneren. Innerhalb der Baufelder sollten unterschiedliche Nutzungen miteinander verzahnt werden, die Bauherren wären gezwungen zusammenzuarbeiten. Die Jury allerdings fürchtete, „dass eine feinmaschige Mischung zu Problemen führen kann“.
Zudem legt dieser Entwurf mit seinern Baufeldern die Gestalt der künftigen Hafencity weitgehend fest - ein Risiko, das viele Planer angesichts früherer Sünden und der langen Bauzeit der HafenCity nicht mehr eingehen wollen. Jürgen Böge brachte es ähnlich wie Oberbaudirektor Walter auf den Punkt: „In den vergangenen 50 Jahren ist es uns nicht gelungen, so zu planen, dass es ein Vorbild wäre“, sagte der Vizepräsident der Architektenkammer. Die Wettbewerbssieger wollen deshalb acht unterschiedliche Quartiere der HafenCity nacheinander entwickeln. Jedes soll einen besonderen Charakter haben. Nicht zuletzt die Moden der Architektur könnten dafür sorgen, das sie ihn tatsächlich ausprägen.
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